Tiroler Arbeiterzeitung

ZEITUNG FÜR ARBEIT UND KONSUMENTENSCHUTZ DER KAMMER FÜR ARBEITER UND ANGESTELLTE FÜR TIROL 11. JG. , NOVEMBER 2018 | NR. 112 Österreichische Post AG | Postentgelt bar bezahlt | Verlagsort 6020 Innsbruck | RM 12A039146 K TIROLER ARBEITERZEITUNG W as ist noch sicher, worauf kann man sich noch verlassen? Die Arbeitnehmer setzen auf die AK. Mit ihrem AK Beitrag von durchschnitt- lich 7 Euro im Monat erhalten sie umfassenden Schutz. Für jeden Euro fließen drei Euro an die AK Mitglieder zurück. In Summe ergibt das eine starke Standesvertretung, in der jeder solidarische Hilfe erfährt. Mit der Kraft von mehr als 3,7 Millionen Mitglie- dern kann die AK mit dem ÖGB die Interessen der Beschäftigten gegen die starken Unternehmerverbände vertreten. Die AK ist Schutzschild und schlagkräftige Einsatztruppe, wenn Unrecht geschieht, ganz egal in welchen Bereichen des Lebens. Wir setzen auf die Werte einer sozialen Bürgergesellschaft, in der niemand al- leingelassen oder ausgegrenzt werden darf. Solidarität schafft Sicherheit für unsere Gemeinschaft, gerade jetzt! AK Präsident Erwin Zangerl Solidarität schafft Schutz & Sicherheit KOMMENTIERT U nter tatkräftiger Mithilfe des Koalitionspartners FPÖ wurde das Arbeitszeitgesetz umgesetzt. Um als „soziale“ Heimatpartei keine Wähler zu verlieren, hörte sich der Ton der FPÖ-Spitzen zum 12-Stunden- Arbeitstag vor Regierungsbeteiligung völlig anders an. So hielt der heutige Vizekanzler den 12-Stunden-Arbeits- tag für eine „asoziale leistungsfeind- liche Idee, da dies für alle Arbeitneh- mer Nettoreallohnverluste bedeuten würde.“ (Kurier, 2013). Der damalige Sozialsprecher und heutige Innenmi- nister Herbert Kickl legte ebenfalls 2013 eine umfassende und vernicht- ende Analyse zum 12-Stunden-Tag vor unter dem Titel „Ausweitung der Arbeitszeit birgt Fülle von Nachteilen für Arbeitnehmer“ (OTS Aussendung 20130124). Darin hielt Kickl u.a. fest: „Eine Ausweitung auf etwa 12 Stun- den würde in erster Linie den Groß- unternehmen helfen ihre Gewinne zu steigern, das aber auf Kosten der Arbeitnehmer.“ Außerdem könne es „nicht so sein, dass unterm Strich die weitestgehende Unberechenbarkeit des Arbeitseinsatzes zum Normaltarif das Maß der Dinge werde“. Eine radikale Kursänderung, die mittlerweile auch freiheitliche Arbeit- nehmer als Verrat an der Arbeitneh- merschaft interpretieren… Der blaue Meinungswandel V on Wien über Kärnten und Salzburg bis nach Tirol: Seit Inkrafttreten der 12-Stun- den-Arbeit häufen sich die Fälle, bei denen das neue Arbeits- zeitgesetz exzessiv ausgelegt oder sogar überschritten wird. Einzelfall reiht sich an Einzelfall, allein in Ti- rol sind in den letzten Tagen gleich drei dubiose Arbeitsverträge auf- getaucht. Und die Diskussion rund um das in aller Eile durchgepeitsch- te Gesetz wird täglich um interes- sante Facetten erweitert: So halten Vertreter aus der betroffenen Tou- rismusbranche das Gesetz für nicht praxistauglich. Gleichzeitig wird die Arbeiterkammer attackiert, und unterstellt, sie würde alle Unter- nehmen pauschal verurteilen. „Eine klassische Schuldumkehr“, sagt dazu AK Präsident Erwin Zan- gerl. „Wir haben davor gewarnt, dass dieses Gesetz unausgegoren ist und dass es keine Freiwilligkeit imArbeitsverhältnis gibt. Während Regierung, Industrie und Wirt- schaft davon gesprochen haben, dass das neueArbeitszeitgesetz kei- ne gravierenden Auswirkungen auf die Arbeitnehmer haben wird, zeigt sich nun, dass das nicht stimmt. Und wenn sich Arbeitnehmer an uns wenden, werden wir das si- cher nicht unter den Tisch kehren. Denn wie mit den Menschen hier umgegangen wird, ist sitten- und rechtswidrig, das Recht auf freiwil- lige Ablehnung von Mehrarbeit ist nichts wert“, so Zangerl. Fall um Fall. Stein des Anstoßes waren unter anderem Arbeitsver- träge, bei denen der Arbeitneh- mer ausdrücklich seine freiwillige Bereitschaft erklären musste, bei Vorliegen eines erhöhten Arbeits- bedarfes eine Tagesarbeitszeit von bis zu 12 Stunden sowie eine Wo- chenarbeitszeit von bis zu 60 Stun- den leisten zu wollen. Für Zangerl sind derartige Zusät- ze in Dienst- bzw. Arbeitsverträgen auch keine Einzelfälle, sondern es wird systematisch versucht, die Schwächen des Gesetzes auszunut- zen und die Mehr- und Überstun- denregelung zu umgehen. „Solche Verträge enthalten klar rechtswidrige Klauseln, die Arbeit- nehmer sollen auf ihnen zustehen- de Rechte verzichten. Und darüber- hinaus soll der Arbeitnehmer laut Vertrag auch noch Stillschweigen über die einzelnen Klauseln be- wahren, das ist unglaublich“, sagt Zangerl. Für ihn ist klar, dass das Gesetz nicht repariert, sondern neu verhandelt werden muss, und zwar auf Augenhöhe mit den Arbeit- nehmervertretern. Beschäftigte als Leidtragende. Auch wenn das von der türkis-blau- en Koalition mit 1. September des Jahres durchgedrückte Gesetz ein Ablehnungsrecht des Arbeitneh- mers vorsieht – es gibt keine Sank- tionen, sollte dieses Recht miss- braucht werden. Außerdem gibt es für betroffene Beschäftigte keinen Kündigungsschutz mit aufschie- bender Wirkung. Diese haben nur die Möglichkeit, eine Kündigung im Nachhinein beim Arbeits- und Sozialgericht anzufechten. „Man verkauft die Menschen einmal mehr für dumm: Sich jetzt hinzustellen und groß davon zu sprechen, man verschärfe Tonart und Strafen gegen Betriebe, die gegen das Gesetz verstoßen, ist rei- ne Show, da man auf der anderen Seite die Betriebe gar nicht mehr wirklich kontrollieren bzw. im Fall eines Verstoßes nur noch aufklären und beraten will – siehe Abschaf- fung des Kumulationsprinzips. Alles, was man jetzt reparieren möchte, führt nur zu weiteren Pro- blemen und Unsicherheiten, denn dieses Husch-Pfusch-Gesetz hat nur den Zweck, die Arbeitnehmer- rechte sukzessiv zu demontieren“, so Zangerl. Er fordert ein neues Arbeitszeitgesetz, das den Arbeit- nehmerschutz ebenso regelt, wie Freizeitansprüche und Urlaub. „Wenn man auf die irrwitzige Idee kommt, das Recht, etwas frei- willig zu tun bzw. nicht zu tun, in ein Gesetz zu schreiben, braucht man sich nicht zu wundern, dass der Schuss nach hinten losgeht. Davor haben wir gewarnt und die- se Warnungen wurden in den Wind geschlagen. Und die Leidtragenden dieser Politik sind einmal mehr die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- mer“, sagt Zangerl. Lesen Sie mehr dazu auf Seite 3 GEGEN ARBEITNEHMER 12-Stunden-Arbeit: Von wegen Freiwilligkeit AUFGEDECKT Fakten. Nur wenige Wochen nachdem das Arbeitszeitgesetz in Kraft getreten ist, zeigen sich große Schwächen. Mit Knebelverträgen wird der Druck auf die Arbeitnehmer erhöht, Kündigung mit inbegriffen … © Sergey Nivens /stock.adobe.com

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