Tiroler Arbeiterzeitung
ZEITUNG FÜR ARBEIT UND KONSUMENTENSCHUTZ DER KAMMER FÜR ARBEITER UND ANGESTELLTE FÜR TIROL 11. JG. , MAI 2019 | NR. 119 Österreichische Post AG | Postentgelt bar bezahlt | Verlagsort 6020 Innsbruck | RM 12A039146 K TIROLER ARBEITERZEITUNG D ie Würde des Kapitals ist unantastbar.“ So steht es in gesprühten Lettern auf einer Inns- brucker Hausfassade, an der ich unlängst vorbeiging. Eine Aussage, die mich betroffen macht. Wahrheit oder Provokation? Sind wir schon so weit, dass dieser Satz der Realität ent- spricht? Statt der Würde des Kapitals: Gibt es sie noch – die Würde jedes Einzelnen in unserer Gesellschaft? „Menschenwürde bedeutet: Der Wert aller Menschen ist gleich, und alle Menschen haben bestimmte Rechte, die ihnen niemand wegnehmen kann und darf. Dies gilt unabhängig von der Herkunft eines Menschen, unab- hängig von Geschlecht, Alter, Religion, Sprache, sozialer Stellung, sexueller Orientierung, Staatsbürgerschaft, poli- tischen und sonstigen Anschauungen.“ Keine Utopie! So steht es in der Lernunterlage des Innenministeriums im Online-Kurs zur Erwerbung unserer Staatsbürgerschaft... AK Präsident Erwin Zangerl Von der Würde des Menschen KOMMENTIERT O bwohl sie im Praktikum nicht selten systemerhaltend tätig sind, haben Schülerinnen und Schüler in Pflege- und Sozialbetreu- ungsberufen noch immer keinen Rechtsanspruch auf ein adäquates Ausbildungsentgelt. Gleichzeitig werden in diesem Bereich immer mehr gut qualifizierte Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer gesucht. Deshalb fordert die AK umgehend Maßnahmen ein. „Um die Ausbildung attraktiver zu gestal- ten, muss für die Schüler in den Pflegeassistenz- und Medizinischen Assistenzberufen eine bundesweit einheitliche adäquate Ausbildungs- entschädigung geschaffen werden, für die auch ein Rechtsanspruch zu verankern ist¸ etwa nach dem Vor- bild der Polizeischüler“, betont AK Präsident Erwin Zangerl. Dasselbe gilt auf Landesebene für die Sozi- albetreuungsberufe: Hier soll das Land Tirol mit einer Regelung für ein faires Ausbildungsentgelt inklusive Rechtsanspruch dafür sorgen. Schüler adäquat entschädigen E s gibt viele Ungerechtig- keiten, mit denen Mann und Frau in Österreich zu kämpfen haben. Die größ- ten finden sich wohl in der noch immer äußerst unterschiedlichen Behandlung der Geschlechter selbst. Denn nicht nur die Vermö- gen sind höchst ungleich verteilt (siehe Seite 9) , auch die Arbeits- aufteilung entspricht meist noch immer althergebrachten Vorstel- lungen. Und was reaktionäre Kreise freuen mag, ist für viele ein Ärgernis: Frauen gelten wei- terhin als diejenigen, die Herd und Heim am Laufen halten müssen und die als „Zuverdienerinnen“ das Familienbudget aufbessern. Teilzeit lautet dabei das Schlag- wort, das das Arbeitsleben hun- derttausender Frauen in Österrei- ch dominiert. So waren 2018 fast 1,1 Millionen Menschen teilzeit- beschäftigt, davon rund 885.000 Frauen (80,4 %). Neben ihrer Teilzeitbeschäftigung kümmern sich Frauen um Haushalt, Kinder und pflegebedürftige Angehörige. Insbesondere nach der Geburt des ersten Kindes verfestigt sich die traditionelle Rollenverteilung: Während Frauen ihre Arbeitszeit zugunsten familiärer Verpflich- tungen reduzieren, leisten Männer in ihren Vollzeitjobs sogar ver- mehrt Überstunden. Nachteile überwiegen. Auch wenn viele Frauen die Möglich- keit schätzen, sich die Arbeitszeit (meist zugunsten der Familie) besser einteilen zu können, über- wiegen die Nachteile. So ist ein großer Teil der Teilzeitbeschäf- tigten mit dem Einkommen mittel bis gar nicht zufrieden, fast zwei Drittel kommen kaum oder gar nicht damit aus. Auch die eigene soziale Position und die Rechte als Arbeitnehmerinnen werden etwas negativer gesehen als bei Vollzeitbeschäftigung. Mit ein Grund, warum ein Viertel der teil- zeitbeschäftigten Frauen mehr ar- beiten möchte. Problematisch ist die Situation auch bei Alleinerzie- herinnen. „Wer einen 20-Stunden-Job hat, bei dem 10 Euro pro Stunde verdient wird, kann davon nicht leben, schon gar nicht als Allein- erzieherin“, sagt AK Präsident Erwin Zangerl und fordert mehr Vollzeitjobs für Frauen und ein Rückkehrrecht auf Vollzeit nach der Babypause. Familien im Brennpunkt. Auch Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen ist nach wie vor eine Herausforderung. In erster Linie sind es finanzielle und arbeits- rechtliche Nachteile, die mit der Geburt eines Kindes verbunden sind. Deshalb drängt die AK Ti- rol seit langem auf dringend not- wendige Gesetzesänderungen. So sollen arbeitsrechtliche Nachteile ausgeglichen werden, wie etwa die mangelnde Berücksichtigung der Karenzzeiten nach dem Mutter- schutz- bzw. Väterkarenzgesetz. Derzeit wird nur die erste Eltern- Karenz im Dienstverhältnis für die Bemessung der Kündigungsfrist, die Dauer der Entgeltfortzahlung im Krankheits- bzw. Unglücksfall und das Urlaubsausmaß bis zum Höchstausmaß von insgesamt 10 Monaten angerechnet. Nur weni- ge Kollektivverträge beinhalten günstigere Regelungen. Deshalb fordert die AK, Karenzzeiten nach dem Mutterschutz- bzw. Väter- karenzgesetz auf alle dienstzeitab- hängigen Ansprüche anzurechnen. Zudem soll auch die Väter- karenz besser etabliert werden und eine gemeinsame Karenz – zumindest für zwei Monate beim erstmaligen Wechsel – ein Stan- dardangebot von familienfreund- lichen Unternehmen werden. Diesbezüglich will die AK nicht nur eine rasche Umsetzung der EU-Richtlinie zum Thema Papa- monat und die gesetzliche Veran- kerung des Rechtsanspruchs auf den Papamonat, sondern auch, dass eine gemeinsame Karenz von zwei Monaten ermöglicht wird. Zangerl: „Die Politik muss stär- ker auf die Bedürfnisse junger Familien eingehen. Der Arbeits- klima-Index unterstreicht, dass in Partnerschaften der große Wunsch nach ausgewogenerer Verteilung der Familien- und Erwerbsarbeit besteht. Es braucht praktikable Modelle. Auch im Hinblick auf die Pension, die nur das Spiegel- bild des Arbeitslebens ist. Nicht umsonst haben Frauen oft dra- matisch niedrige Pensionen, die kaum zum Leben reichen. PFLEGE & SOZIALBETREUUNG Teilzeitarbeit: Frauen stehen unter Druck Fakten. Noch immer dominiert in Österreich das klassische Rollenbild: Er arbeitet voll, sie kümmert sich um die Familie und ist „Zuverdienerin“. Dabei ist Teilzeitarbeit oft nicht freiwillig, auch möchten viele Frauen mehr arbeiten. Die AK kämpft daher um bessere Bedingungen für Arbeitnehmer-Familien. © Good Studio/stock.adobe.com © nd3000 /stock.adobe.com
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