Tiroler Arbeiterzeitung

ZEITUNG FÜR ARBEIT UND KONSUMENTENSCHUTZ DER KAMMER FÜR ARBEITER UND ANGESTELLTE FÜR TIROL 12. JG. , DEZEMBER 2019 | NR . 125 S elten wird so oft über Armut und Einsamkeit gesprochen wie zur Weihnachtszeit. Und trotzdem gilt es genau hinzuhören, wenn es um Krankheit, Not und soziale Ausgren- zung geht. Denn die Betroffenen haben keine finanzkräftige Lobby, die sich für sie einsetzt. Und sie melden sich meist auch nicht lautstark zu Wort. So gehen ihre Probleme im allgemeinen Trubel oftmals unter. Ein plötzlicher Verlust des Arbeits- platzes oder eine schwere Erkran- kung, und schon droht eine Familie, in die Armut abzurutschen. Weil die AK Tirol ihren Mitgliedern auch in Not- lagen zur Seite steht, wurde vor mehr als zehn Jahren der Unterstützungs- fonds ins Leben gerufen. Mit mehr als 3,4 Millionen Euro konnte die AK inzwischen mehr als 12.000 betrof- fenen Familien zur Seite stehen. Viel Geld, aufgebracht von unseren Mit- gliedern, die durch ihre solidarischen Beiträge viel Gutes an ihren Nächsten tun. Eine wundersame Weihnachtsge- schichte, wenn dank Solidarität aller so viel Gutes für unschuldig in Not Geratene erreicht werden kann. Parallel zum Unterstützungsfonds hat sich vor zehn Jahren der Josefi- kreis (siehe rechts) zusammengefun- den. Basierend auf dem Gedanken einer Vernetzung aller Hilfseinrich- tungen, um Betroffenen möglichst kompetent und umfassend zur Seite zu stehen und ein Sprachrohr für die- jenigen zu sein, die sich nicht mehr selbst helfen können. Im Josefikreis will dieses Netzwerk die Armut besie- gen. Ein gewaltiges Hoffnungszeichen für Tirol und für die Weihnachtszeit: Das Wissen, dass niemand allein gelassen wird. AK Präsident Erwin Zangerl Niemand soll in Tirol allein bleiben KOMMENTIERT E ine der vielen Weihnachts- metten, die ich bisher miterlebt habe und nie vergessen werde: mit Woh- nungslosen. Der junge Priester meint es gut und erzählt von Gott, der jeden Menschen das Leben lang begleitet. Nach den ersten Sätzen schon die ersten Zwischenrufe: „Bei mir war er jedenfalls nicht. Ich habe von Gott nichts bemerkt, als es mir so schlecht gegangen ist.“ Die Zustimmung war breit, die Mette wurde kurzzeitig zur liturgischen Katastrophe. Ja, diese Männer ha- ben in der Krise von Gott nichts be- merkt. Weil ihnen damals oft auch kein Mensch zur Seite gestanden ist. Den Abgestürzten – Job weg, Familie weg, Alkohol und Schulden – standen vor allem Unverständnis und Verachtung „zur Seite“. Was jeder, neben geduldigen Freunden, damals gebraucht hätte: eine profes- sionelle Sozialarbeit. Aber die war nur punktuell da. Mir geht dieses Erlebnis immer durch den Kopf – besonders wenn ich die Weihnachtsgeschichte ins- gesamt höre. Das ist nicht nur eine Geschichte von Engels-Chören, von einem „holden Knaben“ – es ist auch die ewige Geschichte von Armut und Obdachlosigkeit, Ver- folgung und Flucht. Jetzt zurück in unsere Zeit! Die Zwischenrufer der damaligen Weihnachtsmette stehen für „extre- men Absturz“. Ich hoffe sehr, dass es dem einen oder anderen gelun- gen ist, wieder „herauszukommen“. Aber: Wir müssen schon daran denken, dass sich auch in Tirol viele existenziell und finanziell am Rande befinden! Mehr als 100.000 Menschen sind arm oder armuts- gefährdet – mit tausenden Kindern, Jugendlichen. Ein Gutteil davon arbeitet „ganz normal“, kann aber vom Einkommen nicht leben (Wor- king Poor). Die Armut betrifft alle beruflichen Bereiche bis hin zum Selbstständigen. Ebenso Pensionis- tinnen und Pensionisten, Menschen mit Behinderung, Junge, Alte, Ge- flüchtete. Ich weiß, dass die Politik in Ti- rol alles Mögliche zur Reduktion der Armut unternimmt. Und auch, dass der Spruch meines Freundes Reinhold Stecher von der Woge der Hilfsbereitschaft stimmt. Worauf ich aber immer mehr draufkomme: Wir müssen dafür sorgen, dass die Erfahrung und das Wissen der prak- tischen Sozialarbeit direkt in die Entscheidungen von Politik und Verwaltung einfließen. So wie dies bei der Landwirtschaft, der Arbeit- nehmerschaft, der Wirtschaft ist. Auch die Pensionistinnen und Pen- sionisten verfügen über eine eigene Vertretung. Genau das brauchen wir zur Be- kämpfung der Armut. Mit großer Unterstützung der Arbeiterkammer Tirol wurde vor gut zehn Jahren der „Josefikreis“ mit etwa 80 So- zialeinrichtungen gegründet. Aus ihm und dem Kampf gegen das un- erträgliche „Sozialhilfegesetz“ mit vielen Kürzungen ist eine Bündnis- initiative entstanden. Mit mehr als 300 Mitgliedern. Und würden alle Betroffenen und ihre Sozialvereine eine Partei wählen – diese Partei wäre die Zweitstärkste im Landtag! Der Weihnachtswunsch 2019: Dass dieses große und idealistische so- zialarbeiterische Potenzial zur Be- kämpfung der Armut erkannt und eingesetzt wird. Danke und Vergelts Gott für Eure Unterstützung dieses Weihnachts- wunsches! Von der Arbeit leben können Österreichische Post AG | Postentgelt bar bezahlt | Verlagsort 6020 Innsbruck | RM 12A039146 K TIROLER ARBEITERZEITUNG Arm trotz Arbeit. Wir müssen daran denken, dass sich in Tirol viele Familien existenziell und finanziell am Rande befinden! Mehr als 100.000 Menschen sind arm oder armutsgefährdet – darunter tausende Kinder und Jugendliche. Gemeinsam können wir die Armut in Tirol jedoch besiegen. von Dr. Lothar Müller © zolga /stock.adobe.com Dr. Lothar Müller ist Sozialethiker und Koordinator des AK Unterstützungs- fonds und des Josefikreises WEIHNACHTSWUNSCH:

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