Wirtschafts- und sozialstatistische Informationen 2019 I
Seite 8 WISO g) höhere Pönalen bei vorzeitiger Kreditrückzahlung, h) weniger Kontrollen von Sozialvorschriften im Stra- ßenverkehr, i) im Bereich der Fahrgastrechte bei Verspätungen keine Entschädigung für Zeitkartenbesitzer, etc. 8 Insgesamt finden sich auf der Liste 489 Vorschläge von österreichischen Rechtsakten, bei denen „Gold- Plating“ vermutet wird, Österreich also in gewissen Bereichen als Vorzeigeland (manchen sagen auch „Musterschüler“, wobei dies neuerdings abwertend gemeint ist) vorangegangen ist und das EU-Mindest- schutzniveau zugunsten von Arbeitnehmer*innen und Konsument*innen erhöht hat. Mit Ministerialentwurf vom 14.11.2018 wurde in der Folge eine „Sammelnovelle Gold-Plating“ vom Bun- desministerium für Verfassung, Reformen, Deregu- lierung und Justiz vorgelegt, mit der vorerst ca. 40 Bestimmungen des österreichischen Rechts, welche über die unionsrechtlichen Mindestvorgaben hinaus- gehen, gestrichen werden sollen. 9 Dabei handelt es sich insbesondere um Mitteilungs-, Melde-, Zulas- sungs- bzw. Prüfpflichten vom Finanzmarktrecht über das Unternehmensgesetzbuch bis hin zum Abfall- wirtschaftsgesetz. Dabei soll es aber nicht bleiben, weitere 160 Vorschläge sollen noch geprüft werden und in den nächsten Monaten zur Streichung vorge- schlagen werden. In einem anderen Bereich ist der österreichische Gesetzgeber bereits im Spätsommer vorgeprescht und hat das Arbeitszeit- sowie das Arbeitsruhege- setz geändert, indem bestimmte Gruppen von Be- schäftigten ausgenommen und die tägliche und wö- chentliche Höchstarbeitszeit ausgedehnt wurden. In der Begründung findet sich auch ein Bezug zum Europarecht: Die bisher bestehenden österreichi- schen Regelungen mit höherem Schutzniveau für Arbeitnehmer*innen seien von der EU-Arbeitszeit- richtlinie nicht vorgeschrieben und das EU-Recht sehe diese neu beschlossenen Ausnahmen bereits vor, also ein klassischer Fall des „Gold-Plating“ aus Sicht der Regierung. Das in der Richtlinie aber eben- falls fixierte Verschlechterungsverbot wurde dabei aber ignoriert. Gerade in den Bereichen Sozialpolitik, Verbraucher- schutz und Umweltschutz räumt bereits das Primär- recht, nämlich der Vertrag über die Arbeitsweise der EU (Art. 153 (4), Art. 169 (4) und Art. 193 AEUV)) den Mitgliedstaaten ein, verstärkte Schutzmaßnah- men beizubehalten oder zu ergreifen. „Gold-Plating“ wird daher in der „Verfassung der EU“ in bestimmten Rechtsgebieten sogar ausdrücklich erlaubt! Hierauf muss man sich stützen, sollte die österreichische Bundesregierung unter Verweis auf das Europa- recht auch in anderen Bereichen höheres Schutzni- veau abbauen und dadurch unsere hohen österrei- chischen Lebensstandards senken wollen, um den Wünschen der Wirtschaft zu entsprechen. 1 Österreichische Bundesregierung, Zusammen. Für Österreich. Regierungsprogramm 2017-2022 (2017). 2 Vgl. Hummer Waldemar, Konkrete Fälle von „Gold-Plating“ in der österreichischen Rechtsordnung, OGfE Policy Brief 21/2018 vom 19.08.2018, S. 3. 3 Art. 3 Vertrag über die Europäische Union (EUV) 4 Vgl. Schoeder Werner, Der Abbau von „Goldplating“ durch nationale Deregulierung und das Europäische Unionsreecht, OGfE Policy Brief 22/2018 vom 2.10.2018, S. 5f. 5 Vgl. Schoeder Werner, Der Abbau von „Goldplating“ durch nationale Deregulierung und das Europäische Unionsreecht, OGfE Policy Brief 22/2018 vom 2.10.2018, S. 4. 6 Vgl .Hummer Waldemar, Was versteht man eigentlich unter „Gold-Plating“ und warum wird es von der österreichischen Bundesregie- rung bekämpft? Die „Übererfüllung von Richtlinien-Voraben als komplexes Problem, EU-Infothek vom 28.5.2018, S. 25f. 7 Vgl. http://www.verbraucherschutzverein.at/.cm4all/mediadb/Gold%20Plaiting_kurz_1.pdf 8 Vgl. Ey Frank, „Gold-Plating“-Liste: Wirtschaftslobby stellt Lebensqualitäts-Standards infrage, A&W Blog, https://awblog.at/gold-plating-skandal/ 9 Entwurf eines Bundesgesetztes, mit dem das Unternehmensgesetzbuch, das Alternative Investmentfonds Manager-Gesetz, das Bankwesengesetz, das Immobilien-Investmentfondsgesetz, das Investmentfondsgesetz 2011, das Versicherungsaufsichtsgesetz 2016, das PRIIP-Vollzugsgesetz, das Wirtschaftstreuhandberufsgesetz 2017, das Bilanzbuchhaltungsgesetz 2014 und das Abfallwirtschafts- gesetz 2002 geändert werden (Sammelnovelle Gold-Plating), 100/ME XXVI. GP – Ministerialentwurf.
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