TIroler Arbeiterzeitung

TIROLER ZEITUNG FÜR ARBEIT UND KONSUMENTENSCHUTZ DER KAMMER FÜR ARBEITER UND ANGESTELLTE FÜR TIROL 10. JG. , JULI | AUGUST 2018 | NR. 109 Österreichische Post AG | Postentgelt bar bezahlt | Verlagsort 6020 Innsbruck | RM 12A039146 K ARBEITERZEITUNG D as von der türkis-blauen Regierung im Eiltempo durchgepeitschte Gesetz des generellen 12-Stunden- Tages bzw. der 60-Stunden-Woche ist der größte sozialpolitische Rück- schritt der Zweiten Republik“, sagt AK Präsident Erwin Zangerl. „Das Regiment hat eine finanzstarke Schattenregierung übernommen: Die Industrie hat vor den Wahlen in die Parteien investiert und erhält jetzt ihren Anteil – zu Lasten der Arbeitnehmer-Familien. Sonntagsarbeit kommt Was hier beschlossen wurde, ist arbeitnehmerfeindlich und men- schenverachtend. 12-Stunden-Tag, 60-Stunden-Woche, Arbeit an vier Sonntagen oder Feiertagen. Künftig können Firmen ihre Beschäftigten an mehr als 150 Tagen im Jahr je- weils 12 Stunden arbeiten lassen. Und das wird gegen den Willen der Bevölkerung von einer ehemaligen christlich-sozialen Partei und einer Partei, die bis vor wenigen Mona- ten noch der Vertreter des „kleinen Mannes“ sein wollte, exekutiert.“ Volk soll entscheiden Zangerl: „Jetzt zeigt die Regierung ihr wahres Gesicht. Wenn sie sich schon imRecht fühlt, dann sollte sie die Österreicherinnen und Öster- reicher zu diesem gesellschaftspo- litischen Thema abstimmen lassen. Für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden der 12-Stun- den-Arbeitstag und die 60-Stun- den-Woche zum Normalfall, und sie werden noch abhängiger von den Befehlen des Arbeitgebers. Das ist der Beginn der mutwilligen Zerstörung unserer Gesellschaft, vor allem unseres Familien-, Ver- eins- und Soziallebens.“ Frontalangriff Der AK Präsident: „Das Gesetz ist ein Frontalangriff auf die Gesund- heit, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Freizeit und die Ein- kommen der Arbeitnehmer-Fami- lien in einem riesigen Ausmaß. Der vor 100 Jahren von den Gewerk- schaften hart erkämpfte 8-Stun- den-Tag wird über Bord geworfen. Der generelle 12-Stunden-Tag, die regelmäßige 60-Stunden-Woche, werden zum gesellschaftlichen Maßstab erhoben. Aus Sicht des Arbeitsmarktes verschärft der ge- plante 12-Stunden-Tag die beste- hende Verteilungsschieflage bei der Arbeitszeit. Damit wird die Chan- ce vergeben, die Arbeitslosigkeit durch eine gerechtere Verteilung des Arbeitsvolumens zu reduzieren und die durch die Digitalisierung entstandenen Produktivitätszu- wächse durch eine Arbeitszeitver- kürzung auch den Beschäftigten zukommen zu lassen.“ Arbeit auf Abruf In keinem einzigen Punkt des 12-Stunden-Tag-Gesetzes gibt es eine Verbesserung für die Arbeit- nehmer. Die kurze Woche (4-Ta- ge-Woche) ist ein Märchen, die behauptete Freiwilligkeit ein Pa- piertiger. Der Arbeitgeber sitzt ge- genüber einzelnen Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmern immer am längeren Ast. Das zeigt sich deut- lich in der täglichen Beratung bei den AK Arbeitsrechtsexperten. Überstunden ohne Ende Die Verteilung der Arbeitszeit in Österreich befindet sich bereits der- zeit in einer massiven Schieflage. So haben die Vollzeitbeschäftigten in Österreich mit 41,3 Stunden die dritthöchste durchschnittliche Wo- chenarbeitszeit in der gesamten EU. 2017 wurden rund 250 Milli- onen Mehr- und Überstunden von den Arbeitnehmern geleistet. 45 Millionen davon wurden weder bezahlt noch gab es dafür Zeitaus- gleich! Gleichzeitig gibt es viele Menschen ohne Erwerbsarbeit, aber auch Teilzeitbeschäftigte, die (mehr) arbeiten wollen, dies aber unfreiwillig nicht realisieren kön- nen. Allein die 45 Millionen an un- vergüteten Mehr- und Überstunden ergeben umgerechnet 26.000 Voll- zeitarbeitsplätze! Kinderbetreuung fehlt Nur ein (!) Prozent der Kinderbe- treuungseinrichtungen in Öster­ reich (ohne Wien) hat länger als 12 Stunden geöffnet. Knapp die Hälf- te (ohne Wien) schließt bereits um 15 Uhr. Und nur jedes vierte Kind unter drei Jahren hat einen Betreu- ungsplatz. Mit einem 12-Stunden- Tag werden Frauen noch stärker in Teilzeit-Jobs gedrängt, mit entspre- chend niedrigem Einkommen, ent- sprechend geringen Pensionen und der drohenden Gefahr der Altersar- mut. Ist es das, was Regierung und Wirtschaft wirklich wollen? siehe auch Seiten 2 bis 7 Verlierer: Familie Ein teurer Sieg... W eniger Familie, Vereinsleben, Freizeit und Weiterbildung: Die partnerschaftliche Aufteilung von bezahl- ter und unbezahlter Arbeit wird unter der neuen Regelung leiden und damit vor allem die Arbeitsmarktchancen von Müttern. Wer sich weiterbilden will, findet mit dem neuen Gesetz weniger planbare Zeit dafür. Der Druck in der Arbeitswelt ist schon hoch genug. Lange Arbeitszeiten machen krank – psychisch und körperlich. Überlange Arbeitszeiten machen die Arbeitnehmer nicht produktiver, sondern nur kranker. Das Arbeitsunfallrisiko steigt, dazu kommen Bluthochdruck, Herzinfarkt- risiko, Muskel- und Skeletterkrankungen nehmen zu. Das Burn-out-Risiko steigt. Ü berfallsartig wurde der 12-Stunden- Tag im Nationalrat noch vor der Sommerpause durchgepeitscht. Aus Angst vor Protesten und um in Ruhe den EU-Ratsvorsitz zu zelebrieren, tritt das Gesetz bereits am 1. September in Kraft. Aber diese Ruhe ist eine trügerische. Türkis-Blau hat es verabsäumt, auf die Sorgen und Bedenken hunderttausender Menschen einzugehen, sie hat sie nicht einmal hören wollen. Die Rechnung wird spätestens im Herbst gemacht, wenn die Lohn- und Gehaltsverhandlungen starten. Das wird ein teurer Sieg... NACHGEFRAGT AUSBEUTER-GESETZ Volksentscheid über den 12-Stunden-Tag! S O Z E R S T Ö R T D I E R E G I E R U N G D E N S O Z I A L S T A A T 6 S e i t e n S o n d e r t h e m a Murks. „Das von der türkis-blauen Regierung im Eiltempo beschlossene Gesetz des 12-Stunden-Tages bzw. der 60-Stunden-Woche ist der größte sozialpolitische Rückschritt in der Zweiten Republik“, sagt AK Präsident Erwin Zangerl. „Statt eines Husch-Pfusch-Gesetzes sollte die Haltung der Bevölkerung im Rahmen eines Volksentscheids abgefragt werden. Denn die Leidtragenden sind die Arbeitnehmer und ihre Familien.“ „Jetzt zeigt die Regierung ihr wahres Gesicht: Es ist ein arbeitnehmer- und familienfeindliches.“ Erwin Zangerl, AK Präsident

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