Tiroler Arbeiterzeitung

OFFEN GESAGT 3 Nr. 110, September 2018 E s kommt, wie es kommen muss: Nach dem von Industrie- und Wirtschaftslobbys unterstützten Wahlkampf legt die Bundesregierung einen weiteren Beweis ihrer speziellen Auffassung von Verteilungsgerechtig- keit vor. Nachdem sie bisher schon das Geld bei den Arbeitnehmern holte, um es in Richtung Industrie und Wirt- schaft zu schieben, geht die Umvertei- lungsaktion munter weiter. Dies zeigt sich auch bei der Steuerreform, die bei der Entlastung der Unternehmen schon weit gediehen ist. Nur bei den Arbeitnehmern gibt es wenig Greif- bares. Wie auch? Denn wo sollen die Entlastungsgeschenke herkommen, wenn nicht von Arbeitnehmerseite? Das, was hier praktiziert wird, ist nichts anderes als ein Taschenspielertrick. Beruhigen will man das Volk mit viel gepriesenen „Geschenken“ wie dem Familienbonus. Doch diesen Bonus bezahlen sich die Familien (wie vieles andere, was diese Regierung seit vergangenem Dezember präsentiert) selbst, etwa über den Umweg der kal- ten Progression. Mit dieser versteckten Steuer in Milliardenhöhe sind nicht nur der Bonus, sondern auch andere Steuergeschenke an Industrie und Steuern für Arbeitnehmer zu senken, bisher kaum ausformuliert sind, liegt daran, dass man erst an Marketing- Plänen arbeiten muss, wie man den Arbeitnehmern weismachen will, dass sie es sind, die den Großteil bezahlen müssen. Und die kalte Progression? Sie wird wieder nicht angetastet. Dabei wäre das eine der wesent- lichsten Entlastungen. Allein die Rückerstattung der seit der letzten Lohnsteuer-Re- form aufgelaufenen kalten Progression macht 5 Milliarden aus. Ist das gerecht? Österreich wird sich nach dieser Regierungsperiode grundlegend verän- dert haben, und die, die das schmerzlich spüren werden, sind die Arbeitnehmer. Gerechtigkeit in Türkis-Blau TAZ:Herr Präsident, mit Ihrem kompromisslosen Auftreten ge- gen unsoziale Maßnahmen von Türkis-Blau haben Sie sich die Wut manch willfähriger po- litischer Wiener Handlanger zugezogen. Wie gehen Sie mit diesen Beleidigungen um? Zangerl: Wenn sich Mandatare von FPÖ oder ÖVP als Abge- ordnete hinter ihrer Immunität verstecken und mit primitiven Ausdrücken wie Bonze, Prolet oder Maulheld Andersdenken- de abqualifizieren wollen, kann sich jeder seinen Reim auf das Niveau dieser Volksvertreter machen. TAZ: Wie sehen Sie den kom- menden politischen Herbst? Zangerl: Die Arbeit der Re- gierung besteht allzu sehr aus Überschriften gepaart mit Dis- kussionsverweigerung und sie strotzt vor offenen Baustellen. Als Gegengewicht braucht es den gemeinsamen überfrakti- onellen Einsatz aller Arbeit- nehmervertreter – Betriebsräte, Gewerkschaften und AK – um diese Flut an Verschlechte- rungen und Fouls gegenüber den Arbeitnehmer-Familien ab- zuwehren. So konnte zwar die Zerschlagung der AUVA ver- hindert werden, nicht jedoch die Gründung einer Gesellschaft, aber jetzt geht es darum, wer die offenen Milliarden für Unfall- versicherung, Entgeltfortzah- lung oder Krankenbehandlung zahlen soll. Sicher nicht die Arbeitnehmer. Über die Fusi- on der Krankenkassen gibt es außer Ankündigungen kaum Konkretes. Beim gesetzlich ver- ordneten 12-Stunden-Arbeits- tag und der 60-Stunden Woche werden wir gemeinsam mit aller Kraft dagegenhalten, um die Beschäftigten vor negativen Auswirkungen bestmöglich zu schützen. Dazu kommen noch die drohenden Einsparungen beim AMS, bei der Notstands- hilfe und der Mindestsicherung. TAZ: Was gelten noch Solidari- tät und Hilfe für den Nächsten? Zangerl: Diese Tugenden haben unsere Demokratie stark ge- macht. Demokratie wiederum lebt von Frieden, Freiheit und Sicherheit. Dies sichert seit mehr als 70 Jahren unserenWohlstand und den sozialen Ausgleich. Wir dürfen diesen Pfad nicht verlas- sen, denn es geht umdie gerechte Teilhabe aller in unserem Land. Die Arbeiterkammer steht für gelebte Solidarität, für Gerech- tigkeit und sozialen Ausgleich. Die Arbeitnehmer können sich auf die Schutzfunktion ihrer gesetzlichen Interessen- bzw. Standesvertretung verlassen. Sorgen müssen wir uns machen über jene Hetzbot- schafter, die nur Radika- lisierung und Zwietracht säen wollen. Zivilcourage zu zeigen, heißt lauter zu werden! Im Gespräch. „Die Beschäftigten können sich auf ihre Arbeiterkammer verlassen, damit es zu keinen weiteren Verschlechterungen für die Arbeitnehmer-Familien kommt. Sorgen bereiten Tendenzen, die unsere Gesellschaft spalten“, sagt AK Präsident Erwin Zangerl. KOMMENTIERT AKUT TAZ: Wie stehen Sie zu den Werten unserer Zivilgesell- schaft? Zangerl: Notfalls müssen wir wieder laut werden, um zu zei- gen, dass wir zu unseren demo- kratischen Werten stehen. Die Stärkung der Zivilgesellschaft ist aktueller denn je, auch wenn maßgebliche Vertreter der Re- gierung allzu oft Politik für Großindustrie und vermeintliche Leistungsträger, aber viel zu we- nig für Arbeitnehmer-Familien, sozial Schwächere und Bedürf- tige machen. Wir sollten uns im- mer überlegen, was uns groß ge- macht hat. Nicht der Egoismus und die Ellenbogenmentalität, sondern das solidarische Han- deln. Das ist auch die eindeutige Antwort auf jene neoliberal-na- tionalen Kreise, die unsere so- ziale Marktwirtschaft entsorgen und durch ein System jeder ge- gen jeden ersetzen wollen. Gera- de aus Kreisen der FPÖ werden Solidarität, Gerechtigkeit und soziales Engagement vielfach als uralt oder links-link abgetan. Wir erleben eine Verdrehung von Werten und eine Verrohung der Sprache, die einer demo- kratisch-humanen Gesellschaft zuwiderlaufen. Alle positiven Kräfte in unserem Land müssen sich entschiedener zu Wort mel- den gegen jede Form der Radi- kalisierung und Ausgrenzung. Der Begriff „Gutmensch“ ist ein Musterbeispiel dafür. Ein guter Mensch wird als schlechtes Vorbild in unserer Gesellschaft hingestellt! Und die Schlechten sind dann die Guten? Das ist wohl eine Pervertierung ohne- gleichen, die nichts anderes im Sinn hat, als einen Keil in unsere Gesellschaft zu treiben. „Ein guter Mensch darf nicht als schlechtes oder lächerliches Vorbild für unsere Gesellschaft hingestellt werden!“ Erwin Zangerl, AK Präsident © Tanja Cammerlander Beschäftigte dürfen nicht Angst haben, wegen Krankheit ihren Job zu verlieren. Deshalb fordert die AK: Wer sich im Krankenstand befindet, darf nicht gekündigt werden! Neben fairer Entlohnung müssen die Arbeitsbedingungen besser werden. Die Arbeitszeit muss verkürzt und mobile, leistbare Betreuungsdienste müssen ausgebaut werden. Die Abschaffung der kalten Progression würde eine deutliche Entlastung der Arbeitnehmer darstellen. Daher fordert die AK kein weiteres Zuwarten, sondern ein rasches Aus für die versteckte Steuer! Für Sie gefordert: Pflege aufwerten! AK: Voller Einsatz für soziale Gerechtigkeit Für Sie gefordert: Kündigungsschutz Für Sie gefordert: Aus für kalte Progression

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