Tiroler Arbeiterzeitung

3 OFFEN GESAGT Nr. 112, November 2018 Zusammenhalten statt spalten! Erwin Zangerl: „Wenn alles der Industrie und dem Kapital untergeordnet wird, bleibt immer weniger für die Arbeitnehmer-Familien. Gerade sie brauchen aber soziale Sicherheit.“ TAZ: Herr Präsident, zwei Mo- nate nach dem umstrittenen Re- gierungsbeschluss zeigt sich die Untauglichkeit des Gesetzes zur 12-Stunden-Arbeit. Wie beurtei- len Sie die Lage? Zangerl: Hätte die Bundesregie- rung beim Gesetz zum 12-Stun- den-Tag gleich auf die Arbeiter- kammer und die Gewerkschaften gehört, dann müsste die Regie- rung jetzt nicht versuchen, die- se Husch-Pfusch-Maßnahme zu reparieren. Es zeigt sich, dass die im Gesetz verankerte Freiwillig- keit in der Praxis nicht viel wert ist. Das zeigen auch bereits meh- rere haarsträubende Fälle, die uns vorliegen. Die Regierung hat mit dem 12-Stunden-Tag-Gesetz ein Signal an die Unternehmen ge- sendet, dass sie sich gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmern jetzt alles heraus- nehmen dürfen. Ich fordere mehr Wertschätzung gegenüber den Beschäftigten, die unser Land am Laufen halten. TAZ: Wie soll es weitergehen? Zangerl: Wie mit den Menschen umgegangen wird, ist einfach sit- ten- und rechtswidrig, das Recht auf freiwillige Ablehnung von Mehrarbeit ist nichts wert. Es wird systematisch versucht, die Mehr- und Überstundenregelung zu um- gehen. Mit so einem Vertrag muss ich freiwillig erklären, dass ich freiwillig auf mein Recht auf Frei- willigkeit verzichte, da ich ansons­ ten meinen Job verliere bzw. ihn gar nicht bekomme. Das ist Zynis- mus in türkis-blauer Reinkultur. Das Gesetz gehört nicht repariert, sondern es muss neu verhandelt werden und zwar auf Augenhöhe mit den Arbeitnehmervertretern. TAZ: Wie steht Türkis-Blau zu den Beschäftigten? Zangerl: Unser Land gerät zuneh- mend in eine soziale Schieflage. Wenn alles den Bedürfnissen der Industrie und dem Finanzkapital untergeordnet wird, bleibt immer weniger für die Arbeitnehmer- Familien. Es geht um soziale Si- cherheit und Stabilität in unserem Land. Statt Solidarität und Zu- sammenhalt wird jetzt allzu oft versucht, unsere Gesellschaft zu spalten: Starke gegen Schutzbe- dürftige, Inländer gegen Auslän- der. Statt Zuversicht werdenAngst und Intoleranz verbreitet. Dazu werden aus FPÖ-Kreisen Mensch- lichkeit und soziales Engagement vielfach als uralt oder links-link, als Gutmenschentum abgetan. Diese Pervertierung von Werten und die Verrohung der Sprache unterlaufen unsere demokratisch- humane Gesellschaft. TAZ: Worin sehen Sie in diesem schwierigen Umfeld die Aufgabe der Arbeiterkammer? Zangerl: Wir stehen vor großen Herausforderungen. Es geht um Beratung, Rechtsschutz und Hil- fe für unsere Mitglieder im Ein- zelfall. Aber es geht auch um eine wirkungsvolle interessenpolitische Vertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor dem Hin- tergrund einer Regierung mit zwei Gesichtern: Einem neoliberalen und einem zutiefst gestrigen Ge- sicht, mit einem Heimatbegriff aus der Mottenkiste. Die Wortwahl hat tiefstes Niveau erreicht. TAZ: Im Jänner startet die Tiro- ler AK-Wahl. Erwarten Sie ähn- lich radikale Töne? Zangerl: Unser Landeshauptmann hat die Wortwahl der FPÖ bereits mehrfach kritisiert. Politische Mit- bewerber werden als Bonzen oder als Heimathasser beschimpft. Ge- sunder Patriotismus wird durch dumpfen Nationalismus ersetzt. Das ist Gift für den sozialen Frie- den. Ähnliches ist bei derAK-Wahl zu erwarten. Die bisher in der AK konstruktiv tätigen freiheitlichen Arbeitnehmer sind aus Protest ge- gen die arbeitnehmerfeindlichen Regierungsmaßnahmen ausgetre- ten oder haben die Fraktion ge- wechselt. Und während die norma- len FPÖ-Mitglieder die Leistungen der AK sehr wohl zu schätzen wis- sen, tritt die Abwerzger-Fraktion in der AK mit der gleichen Skan- dalisierungs- und Bonzentum- Masche an, wie schon gegenüber den Sozialversicherungsträgern. Auch dort waren die Vorwürfe nur konstruiert, um die Mitarbeiter in Misskredit zu bringen. In Wirk- lichkeit will man alles umfärben. Darin sind die Freiheitlichen ja Profis, wie das Feilschen bei der Direktorenbesetzung in der Öster- reichischen Nationalbank deutlich zeigt. Hier werden blaue Macht- pläne sogar via SMS verschickt. Herr Abwerzger sollte sich also genau überlegen, ob es nicht klü- ger wäre, vor der eigenen Tür zu kehren und er sollte nicht die Ar- beitnehmer für blaue Machtspiele missbrauchen. © Gerhard Berger Interview. Statt den sozialen Zusammenhalt zu stärken, werden von der Politik Spaltungstendenzen zugelassen. Eine Pervertierung von Haltungen und eine Verrohung der Sprache unterlaufen unsere demokratischen Grundwerte. Widerstand der Gesellschaft tut Not. Zwei Monate nach Regierungsbeschluss zeigt sich die Untauglichkeit des Gesetzes zur 12-Stunden-Arbeit. Vieles ist unklar, vor allem in puncto Freiwilligkeit. Wir sind für Sie da! Bei Fragen zu Freiwilligkeit, Gleitzeitvereinbarungen, Arbeitsverträgen, Überstunden oder Mehrarbeit wenden Sie sich an die kostenlose AK Hotline 0800/22 55 22 – 1414. 12-Stunden-Arbeitstag: Was ist freiwillig ?

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