TIroler Arbeiterzeitung

Nr. 109, Juli/August 2018 5 A UFGEDECKT Akut. Die Pläne der Regierung bringen massive Einschnitte im Sozialbereich. Rigoros wird gegen „Leistungsunwillige“ vorgegangen. E s war ein kurzes Posting im Online-Forum des „Stan- dard“, und doch war es über- aus bezeichnend: „Hartz IV – steht das IV für Industriellenver- einigung?“, lautete die Frage und brachte die aktuelle Misere der Bundesregierung auf den Punkt. Denn immer offensichtlicher wird, dass die Programme zu den derzei- tigen „Reformen“, etwa jene des Arbeitszeitgesetzes, von Industrie und Wirtschaft geschrieben wur- den. Die Kritiker kommen dabei immer häufiger aus den eigenen Reihen, was nicht verwundert: Das von Kanzler und Bundeskanzler vorgelegte Arbeitszeitgesetz über- trifft in seiner Auswirkung auf die Arbeitnehmer die deutsche Hartz- IV-Reform um Längen. 12-Stun- den-Tag, 60-Stunden-Woche oder Sonntagsarbeit können angeordnet werden, Mitbestimmungsrecht gibt es keines mehr, der Betriebsrat wird ausgehebelt, was viele als Vorstufe zur Abschaffung der Betriebsräte deuten. Zudem bedeutet die Aus- weitung der Arbeitszeit auch, dass weniger Überstunden bezahlt wer- den müssen. Auch in den Kommunen wun- dern sich Bürgermeister über die Reform: Angesicht bereits jetzt vielerorts klammer Kassen kommt nun etwa die Frage auf, wer eine Ausweitung der Kinderbetreuung finanzieren soll oder wie Instituti- onen wie die Freiwillige Feuerwehr aufrecht zu erhalten sind. Doch das Arbeitszeitgesetz ist nur ein weiterer Schritt beim Plan, den Sozialstaat abzureißen. Er folgt auf die Abschaffung der Notstands- hilfe, die Zerschlagung des Sozi- alversicherungssystems und die Kürzung der Mindestsicherung, etwa für jene Bezieher, die keinen Pflichtschulabschluss in Österreich vorweisen können. Eines steht fest, die Regierung vertritt in kei- nem Punkt die Interessen der Ar- beitnehmer. Dies dokumentiert die türkise Volkspartei eindeutig im Begünstigen ihrer Klientel. Auch Wähler der „sozialen“ Hei- matpartei FPÖ scheinen nun immer mehr zu erkennen, wohin der neue Weg führt, zählt der überwiegende Teil doch zu den Arbeitnehmern. So kursieren in den sozialen Netz- werken mittlerweile Karikaturen über die FPÖ mit dem Untertitel „F – wie Ferräter“. Die soziale Heimatpartei, die sich den Kampf gegen Migranten und Überfrem- dung auf die Fahnen geheftet hat- te, sieht sich nun mit dem Problem konfrontiert, dass die Maßnahmen der Regierung in erster Linie auf Arbeitnehmer und österreichische Staatsbürger abzielen. Von der Streichung der Not- standshilfe bis hin zur Abschaffung der Jugendvertrauensräte, vom Be- enden der Aktion 20.000 bis hin zur Kürzung der Mindestsicherung für jene, die weniger qualifiziert sind: Das, was mit dem Schreck- gespenst der „Überfremdung“ begonnen hat, geht durch alle Al- tersschichten und wird zu einem beispiellosen Rundumschlag ge- gen „unsere Leut´“. Eine Hand wäscht die andere Begünstigt wird nur, wer im Wahl- kampf gespendet hat. So gingen aus der Immobilienbranche mehr als 200.000 Euro an die Liste Kurz: Nun fällt die Grunderwerbs- steuer für Investoren. Damit wird eine Umgehungskonstruktion le- galisiert, und Großunternehmen kommen einmal mehr steuerlich weit günstiger davon als Arbeit- nehmer. Zufall? Hundertausende Euro kamen aus Wirtschaft und Industrie, dafür gibt es nun ein Ar- beitszeitgesetz, das die Arbeitneh- mer an den Rand drückt und allein die Arbeitgeber begünstigt. Wieder nur Zufall? Während in Deutschland immer mehr die Erkenntnis durchdringt, dass Hartz IV mehr geschadet als genutzt hat, greift die Bundesre- gierung nun sogar mit einer ver- schärften Form durch. Dass in Deutschland allerdings fast 23 % der Beschäftigten für einen Nied- riglohn arbeiten und die Armuts- gefährdungsquote von Arbeitslo- sen in Deutschland bei fast 70 % liegt, wird verschwiegen. Vermut- lich auch nur Zufall, so wie die römische „IV“ in Hartz IV, die als Kürzel der Industriellenvereini- gung verstanden werden kann. Die „Bauern“ bleiben im Regen. Durch den Sozial-Kahlschlag wird die Verelendung von Menschen zum politischen Programm. N eben der Abschaffung der Not- standshilfe kommt es auch zu Kürzungen bei Mindestsicherungsbe- ziehern. Darunter fallen auch jene, die keinen österreichischen Pflichtschulab- schluss vorweisen können. Dies betrifft aktuell über 60.000 Österreicherinnen und Österreicher , wobei die Dunkel- ziffer weit höher liegt – bis zu 120.000 Personen dürften keinen Pflichtschul- abschluss vorweisen können. Personen ohne diesen „Arbeitsqualifizierungsbo- nus“ erhalten nun anstelle der 863 Euro Mindestsicherung nur noch 563 Euro. D ie Abschaffung der Notstandshilfe betrifft knapp 170.000 Menschen in Österreich . 75 % (!) der Bezieher sind Inländer , ein Drittel über 50 Jahre und am Arbeitsmarkt schwer vermittelbar. Im Gegensatz zur Notstandshilfe kann der Staat bei Mindestsicherungsbeziehern auf ihr Erspartes bzw. Erarbeitetes bis zu einer Summe von 4.000 Euro zugreifen. Mit diesem Hartz-IV-Pendant wird die Armut in Österreich angefeuert, denn Mindestsicherung bedeutet auch, dass viele Langzeitarbeitslose später einmal keine Pension erhalten werden. D er Budgetvoranschlag des AMS Ös- terreich wurde massiv gekürzt, was folgt, sind spürbare Kürzungen, vor allem für besonders benachteiligte Personen, bei Älteren und Langzeitarbeitslosen. Drastisch gekürzt werden auch Mittel für die Aktion 20.000. Die Kürzungen gehen zu Lasten der Arbeitnehmer, 2.000 Jobs beim AMS sind akut bedroht, zumal auch die Mittel für Deutschkurse, Kompetenz- Checks und Arbeitstrainings gekürzt wurden. Auch für die Ausbildungsgaran- tie für bis 25-Jährige ist ab 2019 kein Geld mehr vorgesehen. D ie Einsparungspläne der Regie- rung im Sozial-Bereich (inklusive Abschaffung der Notstandshilfe), werden für hunderttausende Österreicherinnen und Österreicher existenzgefährdend sein. Speziell in jenen Bundesländern, in denen Lebenshaltungs- und Wohnkos- ten sehr hoch sind, wie in Tirol, wird die Armut bzw. Armutsgefährdung steigen. 863 Euro Mindestsicherung für Wohnen und Lebensunterhalt bei Wohnkosten von 600 Euro für eine Garconniere be- zeichnet der Sozialpolitische Arbeitskreis als „menschenverachtend“. Kürzung ohne Schulabschluss Staat schafft Notstandshilfe ab Verelendung ist vorprogrammiert FATALER KURS FACTS Kampfansage an die Österreicher Hartz IV. Die von der Regierung vorgesehenen Neuerungen werden in erster Linie die Österreicherinnen und Österreicher treffen. Wer nicht die Leistung erbringt, die Türkis-Blau fordert, fällt durch den Rost. Eine Million Beschäftigte, die Gleitzeit arbeiten, verlieren die Zuschläge. Alle mit All-in-Verträ- gen müssen für das gleiche Geld dann mehr arbeiten! Bestehende Betriebsvereinbarungen werden wohl nicht bestehen bleiben! Der Druck in der Arbeitswelt ist hoch genug, noch dazu, da Österreichs Beschäftigte 250 Mio. Überstunden leisten (2017)! Schon jetzt ist jeder vierte Arbeitnehmer in Österreich Burn-out gefährdet, das wird noch schlimmer! Freiwillig ist bei dem geplanten Arbeitszeit-Gesetz nichts! Wie oft kann man sich trauen, Nein zu sagen, ohne dass es Konsequenzen gibt? Familienleben, Freizeit und Vereinsaktivitäten werden massiv unter diesemGesetz leiden! Gesundheit Freizeit & Familie Das Gesetz der türkis-blauen Bundesregierung kostet die Beschäftigten: AK: 12-Stunden-Tag ist arbeitnehmerfeindlich! Geld © fotomek/stock.adobe.com Sparkurs trifft Arbeitslose

RkJQdWJsaXNoZXIy NDIxOTE=