Tiroler Arbeiterzeitung

A RBEIT & R ECHT 7 Nr. 120, Juni 2019 Normalität und Überstunden Nein sagen zu Überstunden Wie viel bekomme ich für eine Überstunde? Bezahlung oder Zeitausgleich? Ausnahme Achtung! Überstundenpauschale Arbeitszeit dokumentieren! Was sind Überstunden? W enn Sie wichtige Gründe haben, z. B. Kinder- betreuung oder einen dringenden Arzttermin, müssen Sie keine Überstunden machen. Ihre Gründe müssen schwerer wiegen als die Interessen der Firma. Haben Sie jedoch bereits 50 Stunden in der Woche oder 10 Stunden am Tag gearbeitet, dürfen Sie weitere Über- stunden in dieser Woche oder an diesem Tag ohne Begrün- dung ablehnen. Aufgrund der Ablehnung derartiger Überstunden dürfen Sie nicht benachteiligt werden – insbesondere hinsichtlich des Entgelts, der Aufstiegsmöglichkeiten und der Versetzung. Sollten Sie wegen der Ablehnung derartiger Überstunden gekündigt werden, können Sie die Kündigung binnen 2 Wochen bei Gericht anfechten! Tipp: Erkundigen Sie sich zur Sicherheit bei Ihrem Betriebsrat oder der Arbeiterkammer, ob ein Nein zulässig ist. S ie bekommen mindestens einen Zuschlag von 50 Prozent für jede geleistete Überstunde – egal, ob die Überstunde bezahlt wird oder Sie Zeitausgleich bekommen. Bei Zeitausgleich bekommen Sie daher für eine Überstunde 1,5 Stunden Zeitausgleich. In vielen Kollektivverträgen sind z. B. für Nacht-, Feiertags- und Sonntagsarbeit höhere Zuschläge vorgesehen. Die Vereinbarung, Überstunden im Verhältnis 1:1 abzugelten, ist verboten! Haben Sie eine derartige Vereinbarung geschlossen, muss der Arbeitgeber trotzdem den Überstundenzuschlag bezahlen bzw. mehr Zeitausgleich geben. Achtung: Sie können vorenthaltene Zuschläge nachfordern – vorausgesetzt, Ihre Forderung ist noch nicht verfallen oder verjährt. In einzelnen Kollektivverträgen gibt es dazu allerdings sehr kurze Verfallsfristen. D ie Grundregel lautet: Überstunden werden bezahlt. Nur wenn Sie etwas anderes verein- bart haben, bekommen Sie Freizeit (Zeitausgleich) statt Geld. Möglich ist auch eine Kombination: Dann kann z. B. die Grundstunde bezahlt werden und für den Zuschlag bekommen Sie Zeitausgleich. Die Vereinbarung, ob Geld oder Freizeit, kann schriftlich oder mündlich fixiert sein. Oder „schlüssig“ durch die gelebte Praxis: Wenn Sie z. B. ein Jahr lang Zeitausgleich für Ihre Überstunden bekommen haben, können Sie nicht plötzlich eine Bezahlung verlangen, sondern müssen das zuvor mit Ihrem Arbeitgeber ausmachen. W enn Sie bereits 10 Stunden am Tag bzw. 50 Stunden in der Woche gearbeitet haben und noch weitere Überstunden am betreffenden Tag oder in der betreffenden Woche leisten, können Sie für diese Überstunden einseitig bestimmen, ob Sie Geld oder Zeitausgleich möch- ten. Sie müssen dem Arbeitgeber Ihre Wahl möglichst frühzeitig, spätestens jedoch am Ende des Abrechnungszeitraumes, mitteilen. W enn Sie einen Anspruch auf Abgeltung von Überstunden haben (egal ob in Geld oder in Freizeit), achten Sie auf Verfallsfristen! Diese können im Dienstvertrag oder Kollektivver- trag geregelt sein. Machen Sie daher offene Überstunden rasch schriftlich geltend, sonst droht der Verlust Ihrer Ansprüche! E ine Überstundenpauschale soll die durchschnittlich anfallenden Überstunden abdecken. Wenn Sie im Durchschnitt eines längeren Zeitraumes (im Zweifel innerhalb eines Jahres) mehr Überstunden geleistet haben als die Pauschale abdeckt, muss es dafür extra Geld oder Freizeit geben. Wenn Sie aber im Durchschnitt weniger Überstunden leisten, darf deshalb die Überstundenpauschale nicht gekürzt werden. Denn: Die Überstundenpauschale ist ein Be- standteil des Entgelts. Sie darf vom Arbeitgeber nicht einseitig gekürzt oder aufgehoben werden, wenn nichts anderes vereinbart ist. Dokumentieren Sie Arbeitszeit und Pausen genau! N ur so können Sie kontrollieren, ob Ihre Überstunden korrekt bezahlt werden. Eine Ar- beitszeitaufzeichnung ist im Ernstfall ein Beweismittel vor Gericht. Damit es mit der Zeit- aufzeichnung leichter geht, hat die AK den Zeitspeicher entwickelt, der allen Arbeitnehmern kostenlos zur Verfügung steht (unter www.ak-zeitspeicher.at) . B ei Überstunden gibt es ein paar Regeln – und leider viele Ausnahmen. Hier die gängigsten Defini- tionen und Regelungen: Von Überstunden spricht man dann, wenn Sie mehr als die wöchentliche Normalarbeitszeit oder mehr als die tägliche Normalarbeitszeit arbeiten. Es kann daher auch tägliche Überstunden geben, selbst wenn die wöchentliche Normalarbeitszeit unterschritten wird. S eit 2018 sind bei erhöhtem Arbeitsbedarf 20 Überstunden wöchentlich zulässig (vorher waren es 10). Die tägliche Arbeitszeit darf 12 Stunden, die wöchentliche 60 Stunden nicht über- schreiten, jeweils inkl. Überstunden. Die wöchentliche Arbeitszeit darf allerdings im Durchschnitt von 17 Wochen 48 Stunden pro Woche nicht überschreiten. Das bedeutet, dass seit der generellen Einführung des 12-Stunden- Tages im Jahr 2018 jährlich nunmehr 416 Überstunden zulässig sind - vorher waren es 320. Eine Überschreitung der 12- bzw. 60-Stunden-Grenze ist nur in Ausnahmefällen und nur un- ter bestimmten Voraussetzungen zulässig, z. B in Zusammenhang mit Arbeitsbereitschaft oder bei Genehmigung durch das Arbeitsinspektorat. Tipp: Wenden Sie sich bei Unklarheiten an Ihren Betriebsrat oder die Arbeiterkammer! Grenzen für Überstunden Urteil: EuGH schreibt klare Aufzeichnung der Arbeitszeiten vor ARBEITSRECHT D er Europäische Gerichtshof hat Mitte Mai aufgezeigt, dass das europäische Arbeitszeitrecht dem Schutz der Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer dient und daher zu ihren Gunsten auszulegen ist. Die Höchstrichter betonen, dass jeder Arbeit- nehmer und jede Arbeitnehmerin in der Europäischen Union ein Recht auf Begren- zung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten hat. Dies ist nicht nur in der EU-Arbeitszeitrichtlinie sondern sogar in der EU-Grundrechtecharta verbürgt. Das Ziel dieser europäischen Bestim- mungen ist der Schutz der Lebens- und Ar- beitsbedingungen der Beschäftigten sowie der Schutz ihrer Sicherheit und Gesundheit. Die Mitgliedstaaten haben daher in ihren nationalen Gesetzen zu gewährleisten, dass den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern diese Rechte zugestanden werden. Hierfür ist es notwendig, dass Arbeitgeber verpflich- tet werden, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Dabei müssen die Anzahl der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden, ihre Lage und die Überstunden ermittelt werden können. Darüber hinaus betont der EuGH, dass ein solches Arbeitszeitaufzeichnungssystem auch erforderlich ist, damit Betriebsräte in ihrem Unternehmen ihre Rechte im Rah- men des Arbeitnehmerschutzes ausüben können. Denn nur wenn solche Arbeitszeit- aufzeichnungen vorliegen, ist es möglich, dem Arbeitgeber Vorschläge zu unterbreiten, um einer Gefährdung der Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten vorzubeugen. Das Urteil erging zwar in einem spanischen Fall, doch das Gesagte gilt für ganz Europa und somit auch für Österreich, egal, ob es sich um private Arbeitsverhältnisse oder den öffentlichen Dienst handelt. Die Aufzeichnungspflichten nach dem öster- reichischen Arbeitszeitgesetz (AZG) sind daher im Lichte dieses Urteils zu lesen. Ob die laut AZG mögliche Übertragung der Arbeitszeitaufzeichnungspflicht auf die Belegschaft weiterhin erlaubt ist, wird zu prüfen sein. Der EuGH betont nämlich ausdrücklich, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsvertrages davon abgeschreckt werden könnten, ihre Rechte gegenüber ihrem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen, wenn ein solch objektives Arbeits- zeitaufzeichnungssystem nicht existiert. ei Problemen helfen d ie xperten unter el. 0800/ 2 55 22 1414! © Zerbor /stock.adobe.com

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