Wenn die Last zu groß wird
Akut.
Seit 2009 wird notleidenden Menschen im Rahmen des AK Unterstützungsfonds
geholfen. Doch die Armut steigt. Die AK fordert deshalb umfassende Hilfe für Betroffene.
Gesetze gegen
die Menschen?
W
ir haben uns den Entwurf zum
neuen Mindestsicherungsgesetz
genau angesehen, durch das jährlich
etwa 5,3 Millionen eingespart werden
sollen. Für viele ist das eine Katastrophe“,
steht für AK Präsident Erwin Zangerl und
ÖGB Landesvorsitzenden Otto Leist nach
einem intensiven Gespräch mit Vertrete-
rinnen und Vertretern des Tiroler Sozial-
politischen Arbeitskreises (SPAK) fest.
•
Da ist das Beispiel des 18-jährigen Lehr-
lings, 2. Lehrjahr, 671 € Lehrlingsent-
schädigung. Er zieht aus dem äußerst
konfliktbeladenen Familienhaushalt
aus, findet ein WG-Zimmer (390 €).
Nach dem derzeitigen Gesetz hätte er
Anspruch auf 240 € Mindestsicherung.
Nach den neuen „Vorstellungen“ wird
er massive Einbußen erleiden: Letztlich
werden ihmmonatlich 266 € weniger
zum Leben bleiben und er verliert
zudem die vierteljährlichen Sonderzah-
lungen von 76 €.
•
Der 35-Stunden-Abwäscher (Lohn
970 €, Garconniere 520
€
) verliert
monatlich 23 € und die vierteljähr-
lichen 76 €.
•
Die alleinstehende Pensionistin (900 €
Pension) verliert ebenfalls die Sonder-
zahlungen.
Dazu kommen im Gesetz: Zuweisungs-
möglichkeiten der Behörden in Wohn-
gemeinschaften, Leistungskürzungen
bei Personen in Ausbildung und voll-
jährigen Kindern mit Behinderung im
gemeinsamen Haushalt, Streichung der
Sonderzahlungen (76 € vierteljährlich)
u. a. auch für Aufstocker usw.
Allein mit der Deckelung der
Unterstützung der Wohnungskosten
verspricht sich das Land Einsparungen
von 1,8 Millionen. Besonders negativ
hervorzuheben sind auch die
geplanten Einsparungen durch
die Kürzungen bei Kindern in
Höhe von 426.000 €!
Erwin Zangerl fordert mit Otto
Leist die Tiroler Landtagsabge-
ordneten deshalb auf, gerade
dieses Gesetz genauestens zu prü-
fen. Das Mindestsicherungsgesetz
ist, so Zangerl, eine besondere ethische
Frage. Auch die Pensionistenvertre-
tungen und die Jugendorganisationen
sollten sich rechtzeitig um dieses Gesetz
kümmern. Da die Grundsicherung allen
zusteht, betrifft dies auch Selbständige
und Landwirte. Auch wenn die Inan-
spruchnahme oft etwas kompliziert
erscheint – Zangerl und Leist raten auch
diesen Berufsgruppen, sich genau zu
informieren.
Angst, die Not zu zeigen
Betroffene besser informieren
W
er in Not geraten ist, sucht nicht sofort Hilfe
oder holt sich Unterstützung.Wie die AK
Studie zumUnterstützungsfonds zeigt, warten
50 % der Befragten erst einmal ab. Teils, weil
sie glauben, das Problem selbst in den Griff zu
bekommen, teils, weil sie Hemmungen haben,
die Notsituation bei den verschiedenen Stellen
immer wieder zu schildern. Für mehr als die
Hälfte der Personen wäre es hilfreich, sich nur an
eine Einrichtung wenden zu müssen. Die AK Tirol
fordert daher
die Schaffung einer Anlaufstelle
für in Not geratene Menschen, unter deren Dach
die entsprechenden Institutionen vereint sind.
Dies wäre ein wichtiger Schritt, um frühzeitig hel-
fen und weitere Probleme abwenden zu können.
A
rbeit schützt nicht mehr vor Armut: Fast 40 %
der Befragten in der Studie zumAK Unter-
stützungsfonds sind zwar erwerbstätig, mussten
sich aber trotzdem an den Fonds wenden. Dabei
nehmen nur 24 % die Mindestsicherung in An-
spruch, obwohl 55 % über diese Form der Unter-
stützung Bescheid wissen. Die Hemmschwelle,
sich Hilfe zu holen, ist für viele groß, noch dazu,
wenn einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wird.
Nur selten kommt der Gedanke, dass trotzdem
Anspruch auf Unterstützung besteht. Deshalb
fordert die AK Tirol auch Bund und Länder auf,
Erwerbstätige in Zukunft mehr zu unterstützen
und sie über das Thema Mindestsicherung
besser zu informieren.
THEMA GESUNDHEIT
Foto: Robert Kneschke
/Fotolia.comFoto:
Photographee.eu/Fotolia.comD
er 2009 auf Initiative
von AK Präsident
Erwin Zangerl ins
Leben gerufene Un-
terstützungsfonds
hilft AKMitglie-
dern und deren
Angehörigen in
schwierigen Situati-
onen. Und das möglichst
schnell und unbürokratisch.
Am schnellsten geht es mit
einem formlosen schrift-
lichen Ansuchen samt
erforderlichen Unterlagen
(Kopien zu Einkommen,
Beihilfen, Alimenten,
Mietzinsbeihilfe und Aus-
gaben wie Miete, Rückzahlungsverpflichtungen
usw.). Schicken an:
AK Tirol, Unterstützungs-
fonds, Maximilianstr. 7, 6020 Innsbruck
. Ganz
wichtig: Telefonische Erreichbarkeit angeben!
Außerdem ist der Unterstützungsfonds für
Fragen von Montag bis Freitag von 9 bis 11 Uhr
unter 0800/22 55 22 – 1111 erreichbar.
„Niedrige Einkommen, chronische Krankheit,
Jobverlust, Trennung, Schulden – die Liste, wie
man unverschuldet in Not geraten kann, ist
lang“, sagt Präsident Zangerl und verweist auf
die solidarische Komponente des Fonds. „Der
Unterstützungsfonds lebt von den Tiroler AK
Mitgliedern. Sie leisten mit ihrem Bei-
trag Hilfe für jene, denen es gerade schlecht
geht. Gleichzeitig können sie sicher sein, dass
auch ihnen im Falle des Falles die AKmit Rat
und Tat zur Seite steht“, so Zangerl.
Rettungsring in schwerer Zeit
AK UNTERSTÜTZUNGSFONDS
M
edikamante, Therapien oder Heilbehelfe verursachen enorme
Kosten. Selbst wenn Betroffenen von der Rezeptgebühr befreit
sind, können die Ausgaben dafür oft nicht bestritten
werden. Zudem ist der Verlust des Arbeitsplatzes nicht
selten die Folge eines lang andauernden Krankenstandes,
etwa wegen Operationen oder psychischer Beeinträch-
tigungen.Wenn Krankenstände zu Einkommensein-
bußen führen, ist es oft schwierig, die notwendigen
Mehrkosten für die Genesung aufzubringen.
Gerade die Teilnahme an einer Psychotherapie,
die bei Schicksalsschlägen oft notwendig wird,
können sich dieWenigsten leisten. Die Zusatz-
kosten dafür belaufen sich auf 280 bis 600 Euro
pro Monat, wobei die Krankenkassen nur einen
kleinen Teil rückerstatten. Die Forderung der AK
Tirol lautet daher:
Schwere soziale Härtefälle sollen
bei gesundheitlichen Problemen bzw. Einschrän-
kungen mehr finanzielle Unterstützung erhalten.
Hilfe für soziale Härtefälle
Foto: Piotr Marcinski
/Fotolia.comN
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Nr. 94, März 2017
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irol, das Lande der Seligen?
Oder vielmehr das Land der
hohen Miet- und Lebenshal-
tungskosten, wo über Armut
nicht gern gesprochen wird, obwohl
sie allgegenwärtig ist? Die Zahl de-
rer, die ihren Lebensunterhalt nicht
mehr bestreiten können, steigt stän-
dig, auch, da viele Tiroler Arbeit-
nehmer trotz Vollzeitbeschäftigung
kein Auskommen mehr finden. Ar-
beit schützt mittlerweile nicht mehr
vor Armut: So verdienen derzeit
30.000 Personen weniger als 1.700
Euro brutto monatlich (ca. 1.310
Euro netto) – und das, obwohl sie
ganzjährig und in Vollzeit arbei-
ten. Damit sind diese Personen nur
knapp von der Armutsgefährdungs-
schwelle entfernt, die für Österreich
laut EU bei 1.163 Euro im Monat
liegt. Erschwert wird die Situation
durch das teure Leben: Nirgendwo
muss dafür soviel Geld aufgewen-
det werden, wie in Tirol. Dabei
sind die Löhne österreichweit am
niedrigsten. Im Ernstfall können
plötzlich notwendig gewordene
Anschaffungen das Budget schon
überreizen. Kommen dann Schick-
salsschläge oder gesundheitliche
Probleme hinzu, driften Betroffene
schnell an den Rand der Gesell-
schaft.
Nackte Zahlen.
Dieses Abrut-
schen zu bekämpfen, ist Ziel des
AK Unterstützungsfonds (siehe un-
ten re.). Von 2010 bis 2015 hat die
AK Tirol in Not geratenen Mitglie-
dern mit fast zwei Millionen Euro
unbürokratisch geholfen und über
4.600 Anträge positiv bearbeitet.
Ein aktuelle Studie der AK zeigt
nun, wie schwierig die Situation
für Betroffene wirklich ist.
*.
Dies
hat die AK zu fünf wichtigen For-
derungen veranlasst (re.).
Nahezu die Hälfte der Ratsu-
chenden wandte sich aufgrund von
Mietrückständen, Kautionen, Be-
triebskosten oder Strom- und Heiz-
kosten an den Unterstützungsfonds.
Einmal mehr zeigt sich: Wohnen in
Tirol ist für viele nicht mehr leistbar.
Dramatisch ist auch die Situation
beim Thema Gesundheit. Für fast
ein Viertel der Befragten war dies
der Grund, sich Hilfe zu holen, denn
viele Betroffene können sich Me-
dikamente, Therapien oder
Heilbehelfe nicht mehr
leisten (unten li.).
Erschütternd ist auch
die hohe Zahl derer, die über
die Mindestsicherung zwar
Bescheid wissen, sie jedoch aus
unterschiedlichen Gründen nicht
in Anspruch nehmen (oben li.).
Ebenso bedenklich stimmt der hohe
Prozentsatz an jenen, die abwarten,
bevor sie sich Hilfe holen, vielfach
aus Überwindung, die Notsituation
bei den unterschiedlichen Stellen
immer wieder schildern zu müssen
(oben mi.). „Wie die Studie gezeigt
hat, müssen wir auch bei langan-
haltenden Notsituationen Lösungen
bieten“, sagt dazu AK Präsident
Erwin Zangerl, der mit Nachdruck
auf die Forderungen der AK Tirol
verweist. „Egal ob es um direkte
Hilfe, Aufklärung oder bessere Bil-
dungsvoraussetzungen geht: Von
den Krankenkassen über Sozialein-
richtungen bis hin zu Bund und
Land müssen wir an einem Strang
ziehen, um die Not unserer
Mitbürger in den Griff zu
bekommen“, so
Zangerl.
KOMMENTIERT
Dr. Lothar Müller, Sozialethiker
* Befragt wurden jene Personen, die
zwischen 2010 und 2015 einen Antrag beim
Unterstützungsfond gestellt und eine
finanzielle Zuwendung erhalten haben.
5 Forderungen
Aufgrund der genauen Analyse der Notsi-
tuationen von Mitgliedern fordert die AK:
1.
Soziale Härtefälle sollen bei gesund-
heitlichen Problemen mehr finanzielle
Unterstützung erhalten.
2
. Vermehrte Unterstützung bei der Auf-
klärung zumThema Mindestsicherung.
3.
Schaffung einer Anlaufstelle für in Not
Geratene, mit den entsprechenden
Institutionen unter einemDach vereint.
4.
Bei langanhaltender Notsituation das
Angebot einer längerfristigen Bera-
tung/Begleitung zu ermöglichen, um
eine dauerhafte Lösung zu erarbeiten.
5.
Schaffung guter Voraussetzungen für
hohe Bildungsabschlüsse unabhängig
von der Herkunft von Jugendlichen.
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