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Tirol belegt in den Einkommensstatistiken regelmä-
ßig den letzten Platz im Vergleich der österreichi-
schen Bundesländer. Welche Auswirkungen hätte
eine Verankerung einer Mindestentlohnung von EUR
1.700 brutto in allen Kollektivverträgen in Tirol?
Positive Effekte auf die Tiroler Einkommenssitua-
tion wären sicherlich Vollzeitbeschäftigten im Tou-
rismus zu erwarten, welche nach dem Handel die
zweitgrößte Beschäftigtengruppe unterhalb der EUR
1.700-Marke stellen. Der Anteil der Tourismusbe-
schäftigten liegt in Tirol deutlich höher, als in den an-
deren Bundesländern. In Tirol sind 5,3% aller ganz-
jährig Vollzeitbeschäftigten im Tourismus tätig, im
österreichischen Durchschnitt sind es 3,6%. Für die
Tiroler Frauen gilt dies im besonderen Maße, denn
beinahe jede zehnte weibliche Beschäftigte in Tirol
arbeitet im Tourismus, österreichweit ist es nur jede
Zwanzigste. In dieser Hinsicht würde sich ein EUR
1.700-Mindestlohn in Tirol stärker auswirken, als dies
in den anderen Bundesländern der Fall wäre und
könnte dadurch dazu beitragen, den Einkommens-
rückstand Tirols zu verringern.
Begrenzt würde die Wirkung des Mindestlohns je-
doch durch die in Tirol weitverbreitete Saison- und
Teilzeitarbeit. In Tirol arbeitet weniger als die Hälfte
der Beschäftigten das ganze Jahr hindurch in Voll-
zeit. Wobei sich Tirol nicht so sehr durch den Anteil
der Teilzeitbeschäftigten unterscheidet, dieser liegt
sogar etwas unterhalb des Österreich-Schnittes,
sondern durch den deutlich erhöhten Anteil von Be-
schäftigungsverhältnissen, die durch Zwischensaiso-
nen unterbrochen sind. In Tirol arbeitet fast ein Drittel
aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht das
ganze Jahr hindurch. Im Österreich-Durchschnitt ist
es nur knapp ein Viertel. Insofern wäre der Effekt ei-
ner Anhebung auf ein Bruttominimum von EUR 1.700
durch die große Zahl der Erwerbsunterbrechungen
gemindert, die sich durch die ausgeprägte saisonale
Struktur der Tiroler Wirtschaft ergeben.
Dennoch wäre eine Anhebung der Mindestentloh-
nung eine signifikante Hilfe für die Tiroler Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer. In wohl keinem
Bundesland klaffen Einkommensniveau und Lebens-
haltungskosten so weit auseinander wie in Tirol. Ein
kollektivvertraglich vereinbarter Mindeststandard bei
der Entlohnung kann aber nur ein Element für eine
Anhebung des Tiroler Einkommensniveaus sein.
Vielmehr muss auf eine Änderung in der Wirtschafts-
struktur des Landes hingearbeitet werden, die vor
allem das Ziel hat, mehr ganzjährige Erwerbsarbeit
und dadurch regelmäßigere Einkommen zu schaffen.
Niedriglohnbereich: Wenn jeder
Cent sprichwörtlich
zwei Mal umgedreht
werden muss.
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