Tiroler Arbeiterzeitung - page 7

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THEMA:
DA LÄUFT WAS SCHIEF
Nr. 43, September 2012
Draufzahlen
beim Essen
Saftig.
Die Lebensmittelpreise stiegen in Österreich stärker als anderswo.
B
etrug im vorigen Jahr der all-
gemeine Preisanstieg in un-
serem Land 3,6 Prozent und
war damit bereits der vierthöchste im
Euroraum, waren die Steigerungen
bei Lebensmitteln mit 4,4 Prozent
noch einmal deutlich höher. Extrem
war der Preisanstieg bei so wichtigen
Grundnahrungsmitteln wie Kaffee,
Obst, Milch, Käse und Eiern. Laut
Wirtschaftsforschern können diese
Preiserhöhungen nicht allein durch
internationale Entwicklungen erklärt
werden.
Quelle:Wifo
Kaffe, Tee, Kakao
Obst
Milch, Eier, Käse Lebensmittel insgesamt
16%
14%
12%
10%
8%
6%
3%
2%
0%
Preisanstieg 2011 in Prozent
Österreich
Deutschland
Eurozone
Löhne stagnieren,
Preise explodieren
W
ie sollen wir sparen, wenn
alles dauernd teurer wird?
Annemarie ist verheira-
tet und Mutter von zwei Kindern im
Volksschulalter. Sie und ihr Mann ver-
dienen genug, um über die Runden
zu kommen. Doch für mehr reicht es
meist nicht. „70 bis 80 Prozent geben
wir nur für die Grundbedürfnisse der
Familie aus. Urlaub geht sich höchstens
eine Woche im Jahr aus, leider sind wir
wegen der Schulferien auf die Haupt-
saison angewiesen“, erzählt die 32jäh-
rige Handelsangestellte.
„Da läuft was schief“, findet ihr
Mann Georg, ein 35jähriger Elektriker.
Er und seine Familie sind nicht die Ein-
zigen, für die das Leben immer teurer
wird: Im Jahr 2011 war der Preisan-
stieg in Österreich der vierthöchste im
Euro-Raum. Die Preistreiberei betrifft
vor allem Nahrungsmittel, Körperpfle-
geprodukte, Mieten und auch Autore-
paraturen. „Wegen einer Autoreparatur
war mein halbes Urlaubsgeld weg“, är-
gert sich Georg: „Irgendwas läuft hier
schief. Wir brauchen dringend Kon-
trollen für Preise. So kann es nicht wei-
tergehen.“
Eine Wifo-Studie bestätigt, dass es
einen durch die internationale Preisent-
wicklung nicht erklärbaren „Österrei-
ch-Aufschlag“ gibt. Für AK Präsident
Erwin Zangerl ist klar: „Irgendwo muss
irgendwer mitschneiden auf Kosten der
Bürgerinnen und Bürger.“
Die AK fordert deshalb strengere
Kontrollen und Sanktionen in Öster-
reich. Und auch auf EU-Ebene müs-
sen preistreibende Spekulationen auf
Rohstoffe und Lebensmittel einge-
bremst werden. Beim Sprit muss die
Rotterdamer-Preisbildung, mit der die
hohen Preise gerechtfertigt werden, von
der EU geprüft werden. Denn auch
die Spritpreise haben Rekordniveau er-
reicht: „Obwohl wir möglichst oft auf
das Auto verzichten, brauchen wir rund
200 Euro monatlich fürs Tanken“, er-
zählt Annemarie.
Tanken immer teurer.
Die
Treibstoffpreise gingen in den letzten
Jahren stark in die Höhe. Ein Pend-
ler, der mit seinem Diesel-Pkw rund
50 Kilometer in die Arbeit fährt, muss
nur für den Arbeitsweg um rund 110
Euro mehr zahlen als im Vorjahr. Im
Zwei-Jahres-Vergleich ist es noch dra-
matischer. Die Fahrt in die Arbeit ko-
stet gar 410 Euro mehr! Die Ölmultis
fahren Rekordgewinne ein. Der größte
Ölmulti der Welt, Exxon Mobil, steiger-
te zum Beispiel seinen Gewinn im Jahr
2011 um 35 Prozent auf 42 Milliarden
Dollar.
Spekulieren mit Essen.
Noch skandalöser ist das Spekulieren
mit Nahrungsmitteln. Banken bie-
ten Fonds an, die darauf wetten, dass
Rohstoffe noch teurer werden. „Jede
Spekulation auf Essen oder Lebensmit-
tel-Rohstoffe gehört unterbunden. In
Europa zahlen das die Konsumenten
mit hohen Lebensmittelpreisen, in
anderen Ländern wird wegen dieser
miesen Spekulationen noch mehr ge-
hungert. „Nahrungsmittel gehören auf
den Teller nicht an die Börse oder gar
in den Tank“, fordert Zangerl. „Die AK
verlangt auf EU-Ebene Maßnahmen
gegen Spekulationen auf den Rohstoff-
märken und der Landwirtschaftsmi-
nister soll endlich seine Biospritpläne
begraben.“
<<
Geht es sich aus?
Der tägliche Einkauf wird zum Balanceakt zwischen Preis und Notwendigkeit.
I
n der jüngsten
repräsentativen
Quartalsumfrage
der AK Tirol zur Le-
benszufriedenheit
der Tirolerinnen
und Tiroler, durch-
geführt vom Mei-
nungsforschungsinstitut market,
sehen die Menschen die derzeitige
Situation höchst kritisch. 68 Pro-
zent stimmen der Aussage zu: „In
Tirol läuft einiges schief!“ Sehen
somit gut zwei Drittel der 500 Be-
fragten eine eindeutige Schieflage
in Tirol, so ist das Urteil für Ge-
samtösterreich noch schlechter:
Gleich 80 Prozent sagen, dass in
Österreich etwas schief läuft!
W
o läuft es
besonders
schief? Auf diese
Frage antworteten
84 Prozent, dass
sie das teure Le-
ben in Tirol als be-
sonders ungerecht
empfinden. 78 Prozent sagen, das
Wohnen sei belastend. Verärgert
sind die Bürger über die Banken-
rettung, die zu 75 Prozent als unge-
recht empfunden wird. 71 Prozent
bemängeln die niedrigen Einkom-
men und das Diktat der Kapital- und
Finanzmärkte (69 %), 64 Prozent
die Vermögensverteilung, 54 Pro-
zent die Agrargemeinschaften und
32 Prozent die soziale Sicherheit.
D
ie Meinungs-
forscher ha-
ben auch genauer
nachgefragt, wo die
Tirolerinnen und Ti-
roler die größten
Ungerechtigkeiten
orten: 45 Prozent
sehen vor allem die Tiroler Fami-
lien klar benachteiligt. 42 Prozent
finden, dass die Frauen ins Abseits
gedrängt werden und gleich 44
Prozent meinen, dass die jungen
Menschen in Tirol kaum gerechte
Chancen im Berufsleben haben.
Hier dürften vor allem die nach wie
vor bestehenden Benachteiligungen
am Arbeitsmarkt in dieses alarmie-
rende Ergebnis einfließen.
E
ine besonders
„ g e r e c h t e “
Behandlung wird
nach Meinung der
Tiroler Bevölkerung
den Banken zuteil.
Auch
Industriel-
le, Bauern sowie
Unternehmer werden als bevor-
zugt angesehen. Im Detail sagen
71 Prozent, dass Banken gerecht
behandelt werden, zu 70 Prozent
Industrielle und zu 66 Prozent Un-
ternehmer. Und obwohl Bauern-
funktionäre nicht müde werden, ihre
Förderungen zu verteidigen, sind 69
Prozent der Tirolerinnen und Tiroler
der Meinung, dass die Bauern ge-
recht behandelt werden.
D
en
größten
Handlungsbe-
darf für die Tiroler
Landespolitik se-
hen die Menschen
im Bereich Ar-
beitslosigkeit, Ar-
beitsplätze
und
Arbeitsmarkt. Auffallend der Bezirk
Landeck, wo jeder Dritte dieses
Problem als besonders drängend
bezeichnet. Weitere wichtige Felder
mit hohem Handlungsbedarf emp-
finden die Tiroler bei der Wohnsitu-
ation, vor allem in Innsbruck-Stadt
und Innsbruck-Land. Generell hoch
und in allen Altersschichten verbrei-
tet ist die Unzufriedenheit mit den
hohen Lebenskosten.
I
n Österreich läuft etwas schief:
Die hohen Preise machen immer
mehr Menschen zu schaffen. In un-
serer Kampagne für mehr Vertei-
lungsgerechtigkeit wollen wir mehr
Bewusstseinsbildung in Wirtschaft
und Politik schaffen. Denn die hohen
Preise für Essen, Wohnen, Heizen
und Tanken spüren alle. In immer
mehr Haushalten muss rigoros ge-
spart werden, um mit dem monat-
lich verfügbaren Geld die Grundbe-
dürfnisse finanzieren zu können.
Das kann nicht im Interesse des
Wirtschaftsstandortes sein, dass
das frei verfügbare Einkommen
und damit der Konsum der Arbeit-
nehmer- und Pensionistenhaus-
halte immer geringer wird. Wenn
alle Appelle nichts fruchten, wer-
den wir Ausgleichszahlungen und
Leistungsabgeltungen
verlangen,
wie dies in der Landwirtschaft gang
und gäbe ist. Dort werden bereits
80 Prozent der Einkommen der Bau-
ern durch öffentliche Gelder von uns
allen in Form von Förderungen und
Ausgleichszahlungen abgedeckt.
Vor allem steigen viele Preise in
Österreich stärker als in den mei-
sten vergleichbaren Ländern, etwa
für Lebensmittel und fürs Wohnen.
Für mich bedeutet das, dass es ei-
nen Österreich-Aufschlag gibt, einen
hausgemachten Anteil am Preisan-
stieg. Und Tirols Haushalte sind dop-
pelt belastet, weil Leben, Wohnen,
Sprit und Öffis bei uns am teuersten
sind und das bei niedrigsten Löhnen.
Die Lohnentwicklung kann mit der
Preisentwicklung immer weniger
Schritt halten. Die Folge davon ist,
dass immer mehr Haushalte in aku-
te Schieflage geraten. Da braucht
nur einmal die Waschmaschine
kaputtgehen oder das Auto, das
dringend für die Fahrt in die Arbeit
gebraucht wird, seinen Dienst quit-
tieren und schon geht’s bergab.
Den Preisexplosionen muss auf
den Grund gegangen werden. Die
Verursacher sollen den Beweis an-
treten müssen, dass ihre Preiser-
höhungen gerechtfertigt sind. Eine
Preiskontrolle mit Biss ist überfällig
in Österreich.
Preistreiber
stoppen
68 % sagen: In Tirol
läuft etwas schief
Nachteile für Frauen,
Junge und Familien
Ärger über Industrie,
Banken und Bauern
Handlungsbedarf
bei Arbeitsplätzen
Vergleichen
bringts
D
en Preiserhöhungen fürs Es-
sen, Heizen und Tanken kann
niemand ausweichen. Wer Preise
vergleicht, kann dennoch sparen.
Autofahrer finden die günstigsten
Tankstellen mit dem Spritpreis-
rechner der E-Control unter www.
spritpreisrechner.at. Autofahrer in
NÖ, OÖ und Wien zahlen am we-
nigsten. Autobahntankstellen mei-
den, hier herrschen Rekordpreise.
Den günstigsten Strom- oder
Gasanbieter finden Sie mit dem
Energiepreisrechner unter
www.
ak-tirol.com
Sorgen über teures
Leben und Wohnen
Teures Pflaster.
Essen, Wohnen, Tanken, Öffis. Immer mehr Haushalte stöhnen unter den hohen Kosten. Steigen die Preise,
müssen die Tiroler noch tiefer in die Tasche greifen als Wiener oder Deutsche. Denn Tirol ist jetzt schon am teuersten.
Erwin Zangerl, AK-Präsident
Schwarz auf Weiß.
Die Grafik zeigt den überdurchschnittlich hohen Preisanstieg
in Österreich im Vergleich zu Deutschland und der Eurozone.
Foto:auremar/Fotolia.de
Foto:DeshaCAM/Fotolia.de
Foto:EnaiAksoy/Fotolia.de
Foto:detailblick/Fotolia.de
Kaffee, Tee, Kakao
Ö
Ö
Ö
Ö
D
D
D
D
E
E
E
E
Obst
Milch, Eier, Käse Lebens ittel insgesamt
1,2,3,4,5,6 8,9,10,11,12
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