Tiroler Arbeiterzeitung - page 6

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Nr. 62, April 2014
Wichtige Infos finden Sie im
Falter der AK Tirol „Evaluierung
psychischer Belastungen“,
kostenlos erhältlich unter
0800/22 55 22 -1432 oder
auf
!
THEMA:
ARBEIT & GESUNDHEIT
Alarmierend.
Immer öfter leiden Beschäftigte unter Leistungsdruck am Arbeitsplatz.
Stress ist die bekannteste Folge dieser psychischen Belastung, und er kann krank machen.
Unter Druck.
Für viele Beschäftigte haben Belastungen gesundheitliche
Folgen bis hin zu Depressionen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
L
ängst ist „Stress“ ein gängiger
Begriff für verschiedenste Beein-
trächtigungen des körperlichen
und seelischen Wohlbefindens. Und
fast jeder kennt Situationen, in denen
man sich überfordert, nervös oder ge-
reizt fühlt.
Das macht auch vor dem Arbeits-
leben nicht Halt – angesichts des zu-
nehmenden Anpassungs- und Leis­
tungsdrucks, dem Unternehmen und
Beschäftigte ausgesetzt sind. Psychische
Belastungen zählen mittlerweile sogar
zu den stärksten im betrieblichen All-
tag. Und Stress ist wiederum ihre be-
kannteste Folge.
Stress macht krank.
Ar-
beitsbedingter Stress entsteht durch
psychische Überbelastungen, wenn also
die Anforderungen an die durch Stress
belasteten Personen höher sind als de-
ren Bewältigungsmöglichkeiten. Stress
an sich ist keine Krankheit. Dauert die
Arbeitsüberlastung oder Überforderung
jedoch über längere Zeit an, kann Stress
zu geistigen und seelischen Erkran-
kungen führen.
Ursachen.
Viele Faktoren können
Stress auslösen, z. B. negatives Betriebs-
klima, schlechtes Führungsverhalten
der Vorgesetzten, unklare Arbeitsaufga-
ben und -abläufe sowie ständige Kon-
flikte oder Mobbing. Mögliche Ursa-
chen sind aber auch Veränderungen
im Betrieb, wie Umstrukturierungen
oder Neuübernahmen, besonders wenn
D
ie Arbeitswelt hat sich grund-
legend verändert. Gleichzeitig
wird die Psyche der Beschäf-
tigten um vieles stärker beansprucht,
und gesundheitliche Probleme, wie
Stress, Depressionen oder Angstzu-
stände, aber auch Herz-Kreislauf-
Erkrankungen, Kopfschmerzen und
Übermüdung, Demenz sowie Infek-
tionskrankheiten treten häufiger auf.
Außerdem führen psychische oft auch
zu physischen Belas­tungen und umge-
kehrt.
So gab bei einer Umfrage rund ein
Drittel der Arbeitnehmer 2010 an, an
einer gesundheitlichen Beschwerde
gelitten zu haben, und dass ihr psychi-
sches Wohlbefinden aus ihrer subjek-
tiven Sicht beeinträchtigt wurde.
Um die psychischen Krankmacher
in der Arbeit zu erfassen und erst-
mals deren Kosten zu eruieren, hat die
AK eine Studie beim Wirtschaftsfor-
schungsinstitut und der Donauuniver-
sität Krems in Auftrag gegeben.
Die wichtigsten Ergebnisse:
• Während Beschäftigte ohne arbeits-
bedingte Belastungen nur 0,8Tage an
krankheitsbedingten Arbeitsausfällen
aufweisen, sind es 3,3 Ausfallstage
bei arbeitsbedingten psychischen Be-
lastungen und knapp 6 Ausfallstage
beim Zusammentreffen psychischer
und physischer Belastungen.
• Bei Beschäftigten ohne Belastung
gehen pro Jahr 1,4 % oder 24 Stun-
den der Arbeitszeit verloren, bei den
Beschäftigten mit ausschließlich
körperlichen oder psychischen Be-
lastungen 2,7 bzw. 2,6 % oder fast
Stress lass nach!
Psychische
Krankmacher
A
us der AK Studie lassen sich viele Zusam-
menhänge ablesen: So leiden mit 24 % der
Beschäftigten, die keinen oder nur einen niedrigen
Handlungs- und Entscheidungsspielraum hinsicht-
lich Arbeitsabläufen und Zeiteinteilung haben, deut-
lich mehr unter Schmerzen im Bewegungs- und
Stützapparat, als bei Beschäftigten mit hoher Arbeitsplatzautonomie (17 %).
Bei Arbeitnehmern mit geringer beruflicher Anerkennung sind psychische
Beschwerden wesentlich stärker ausgeprägt, als bei ihren Kollegen, die
hohe Anerkennung erhalten: 22 % klagen über Stress (gegenüber 17 %),
19 % über allgemeine Müdigkeit (13 %), 8 % über Schlafstörungen (6 %), 9
% über Angstzustände (6 %) und 12 % über Reizbarkeit (7 %).
Studien-Details in Zahlen
Doping im Job
ist keine Lösung
W
enn der Druck am Arbeits-
platz steigt, greifen immer
mehr Beschäftigte zu leistungs-
steigernden Mitteln. Experten war-
nen vor dopenden Medikamenten,
die Konzentration und Belastbar-
keit steigern sollen, aber auch vor
„Alltagsdoping“ durch große Men-
gen an Kaffee, Energiedrinks, Ziga-
retten und Alkohol. So oder so ist
die Suchtgefahr groß.
So meistern Sie Druck auch ohne
Doping:
• Schauen Sie sich die Situation an,
die Druck verursacht: Vielleicht
müssen Sie ein paar Termine
weniger annehmen, Arbeit dele-
gieren oder schwierige Aufgaben
in einem störungsfreien Raum
erledigen.
• Bewegung und frische Luft helfen
beim Stress-Abbau und steigern
die Konzentrationsfähigkeit.
• Greifen Sie nie leichtfertig zu Me-
dikamenten.
• Wenn Sie spüren, dass es ohne
eine tägliche Dosis an Alkohol
oder Pillen nicht mehr geht, ho-
len Sie sich Hilfe bei einer Sucht-
beratung oder einem Arzt.
diese mit den Beschäftigten nicht be-
sprochen werden bzw. diese in die
Neuorganisation nicht eingebunden
werden. Weitere Auslöser sind hohe
Fremdbestimmung, wenn Beschäftigte
also wenig oder gar keinen Einfluss
auf Arbeitsinhalte, Arbeitsabläufe und
Zeiteinteilung haben, fehlende oder
schlechte Qualifikation bei erhöhten
Anforderungen sowie Belastungen
durch Chemikalien, Lärm oder andere
physische Gefahren.
Die Verantwortung für die Verhü-
tung von arbeitsbedingtem Stress liegt
– wie für die Verhütung von Gefähr-
dungen und Belastungen – beim Ar-
beitgeber (siehe Beitrag rechts unten).
Gegensteuern.
Was aber ist zu
tun, wenn man selbst betroffen ist oder
von Kollegen weiß, die unter arbeitsbe-
dingtem Stress leiden?
• Sprechen Sie mit Arbeitgeber, Be-
triebsrat, Sicherheitsvertrauensperson
und Kollegen über die Probleme,
• beteiligen Sie sich aktiv an der Evalu-
ierung und helfen Sie mit, Ursachen
aufzudecken, mögliche Lösungen zu
ermitteln und herauszufinden, wie
diese umgesetzt werden könnten,
• teilen Sie Ihren Vorgesetzten mit, ob
gesetzte Maßnahmen helfen,
• und besprechen Sie Ihre Lage mit
dem Arbeitsmediziner oder dem Ar-
beitspsychologen bzw. ermutigen Sie
die betroffenen Kollegen dazu. Ar-
beitsmediziner sind zur Verschwie-
genheit verpflichtet!
<<
Viele Faktoren
können Stress auslösen. Wer selbst darunter leidet oder von
betroffenen Kollegen weiß, sollte rasch gegensteuern.
Belastend und teuer.
Rund 3,3 Milliarden Euro pro Jahr betragen die
gesamtwirtschaftlichen Kosten durch psychische Belastungen in der Arbeit.
Foto:SebastianGauert/fotolia.com
SUCHTGEFAHR
Foto:DanRace/Fotolia.com
Arbeitgeber muss
Belastung messen
Evaluierung.
Betriebe müssen auch gegen
psychische Gefahren Maßnahmen setzen.
M
it der Novelle zum Arbeit-
nehmerschutzgesetz,
die
2013 in Kraft getreten ist,
sind bei der Gefahrenevaluierung am
Arbeitsplatz die psychischen Belas­
tungen ebenso zu erheben, zu beurtei-
len und geeignete Abwehrmaßnahmen
zu setzen, wie bei Belastungen durch
gefährliche Stoffe oder Maschinen.
Dennoch sind sich viele Unternehmen
dieser Verpflichtung nicht bewusst.
Verfahren.
Wie aber kann man
psychische Belastungen messen? Ge-
räte gibt es keine, wohl aber standar-
disierte Methoden, wie Interviews oder
Beob­achtungsverfahren. Wichtig dabei
ist, dass vom Arbeitgeber die jeweils
richtigen Themen abgefragt werden,
etwa die Belastung durch Aufgaben
und Tätigkeiten (wie Kontakte mit
unzufriedenen Kunden oder Unter-
forderung), durch Arbeitsabläufe (un-
klare Ziele, häufige Unterbrechungen),
durch Arbeitsumgebung oder Sozial-
und Organisationsklima.
Irgendwelche
selbstentwickelten
Mess­verfahren sind ungeeignet. Den
Betrieben wird empfohlen, sich an
die ÖNorm zu halten. Auva und
Arbeitsinspektorat verweisen auf die
Toolbox der deutschen Bundesanstalt
für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
mit der umfangreichsten qualifizierten
Sammlung von Methoden im deutsch-
sprachigen Raum.
<<
sechs Tage, und bei psychischen und
körperlichen Belastungen 3,5 % der
Arbeitszeit bzw. 7,5 Tage oder 60
Stunden.
• Laut Statistik Austria stieg die Zahl
der Invaliditäts- bzw. Erwerbsun-
fähigkeitspensionen aufgrund psy-
chiatrischer Krankheiten von rund
59.600 (2002) auf fast 98.800
(2010).
• 32 % aller Neuzugänge in die Be-
rufsunfähigkeits- und Invaliditäts-
pensionen erfolgen aus psychischen
Gründen.
• Krankenstände aufgrund arbeits-
bedingter psychischer Belastungen
dauern länger, und die gesamtwirt-
schaftlichen Kosten belaufen sich
auf rund 3,3 Milliarden Euro jähr-
lich (Studien-Details siehe rechts).
Folgekosten.
Berechnungen für
Österreich legen nahe, dass psychische
Belastungen am Arbeitsplatz mit ähn-
lich hohen gesamtwirtschaftlichen Ko-
sten verbunden sind, wie physische.
Jedoch ist die durchschnittliche Dauer
eines Krankenstands bei psychischen
Erkrankungen erheblich höher, als bei
körperlichen.
So wurden die gesamtwirtschaft-
lichen Kosten der psychischen Bela-
stungen etwa für 2009 mit 1,2 % des
BIP oder 3,3 Milliarden Euro ange-
setzt. Die Summe beinhaltete medizi-
nische und betriebliche Kosten.
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