OFFEN GESAGT
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Nr. 99, September 2017
Memorandum der Wiener Arbeiter
Die Forderung nach Errichtung von
Arbeiterkammern wird zum ersten
Mal 1872 in ein Memorandum der
Wiener Arbeiter gekleidet, welches
demMinisterium des Inneren und
dem Reichsrat überreicht wird.
Erste Wahl für die Kammer
für Arbeiter und Angestellte für Tirol
16. und 17.4.1921:
Die erste Wahl
für Tirol wird durchgeführt, bei der
die Mandate von 50 Kammerräten zu
vergeben sind.
1.5.1921:
AK Tirol beginnt ihre Tätig-
keit in der Hofburg in Innsbruck.
16. 6.1921:
Konstituierende Vollver-
sammlung unter Präsident Wilhelm
Scheibein.
Schon in der ersten Funktionsperiode
baut die AK die Betreuung ihrer Mit-
glieder aus und errichtet Amtsstellen
1872
DIE TIROLER AK IM
SPIEGEL DER GESCHICHTE
1921
1930
1933
1938-45
1921
1929
1930
1920
Arbeiterkammergesetz
Nachdem am 26. Februar 1920 das
„Gesetz über die Errichtung von Kam-
mern für Arbeiter und Angestellte
(Arbeiterkammer) von der konsti-
tuierenden Nationalversammlung
beschlossen wurde, nimmt am 1. Mai
1921 auch in Tirol die Arbeiterkam-
mer ihre Tätigkeit auf. Zu diesem Zweck
wurden Räumlichkeiten in der Hofburg
Innsbruck angemietet.
Erster Lehrgang einer
„Betriebsräteschule“
Fünftägige Betriebsräteschule zu
Arbeitsrecht, Volkswirtschaft und
Gewerkschaftskunde.
Ankauf und Umbau des ehemaligen
Nationalbankgebäudes in Innsbruck,
Maximilianstraße 7.
Das Gebäude wird 1932 eröffnet.
in Kufstein, Kitzbühel, Landeck und
Lienz. Außerdem schenkt die Kammer
dem Lehrlingswesen besondere Auf-
merksamkeit und richtet eine eigene
Lehrlingsschutzstelle ein.
Unsauber.
Der Kampf von neos und FPÖ gegen die AK Mitgliedschaft für alle bzw. die
Senkung der Beiträge zeigt, wie wenig es den Parteien um die Beschäftigten geht: 2016
betrugen die Solidarbeiträge 432 Millionen, gleichzeitig erkämpften die Arbeiterkammern
532 Millionen für die Erwerbstätigen. Um dieses Geld würden die Arbeitnehmer umfallen!
D
ie Argumente, die ge-
gen die AK vorgebracht
werden, sind alt und mit
Halb- bzw. Unwahrheiten
gespickt: Wenn es darum geht, die
Interessenvertretung der Arbeit-
nehmer schlecht zu machen, ist den
Funktionären der „neoliberalen“
Parteien jedes Mittel recht. Nur ein
Beispiel von vielen ist das jüngst
vorgestellte Wirtschaftsprogramm
der FPÖ: Das Titelbild zeigt einen
hart arbeitenden Schweißer. Gera-
de um die Arbeiter bemühen sich
Freiheitliche, aber auch neos der-
zeit besonders, geht es doch um
Wählerstimmen. Wieviel Sorgen
sie sich wirklich machen – näm-
lich keine – zeigt sich jedoch ei-
nige Kapitel später, wenn es um
die Aushöhlung der Arbeitnehmer-
rechte geht. Da wird dem Hackler
das Hackl ins Kreuz geworfen, und
es wird ihm erklärt, er könnte sich
durch die Abschaffung des Solidar-
beitrags Unsummen an Geld spa-
ren. In Wirklichkeit ist das Gegen-
teil der Fall, aber aussagekräftiges
Zahlenmaterial ist nicht Bestandteil
von Wahlprogrammen.
Die Tatsachen.
Die Fakten, die
auch Freiheitliche und neos be-
rücksichtigen könnten, würde ih-
nen an den Beschäftigten etwas
liegen, sehen jedoch anders aus:
In Summe vertreten die Arbeiter-
kammern mehr als 3,6 Millionen
Beschäftigte, im Schnitt bezahlt
ein Mitglied im Monat lediglich
6,99 Euro. Rund 816.000 Mit-
glieder sind vom Beitrag befreit,
weil sie auf Arbeitssuche sind, in
Karenz, Lehrlinge sind oder unter
der Geringfügigkeitsgrenze ver-
dienen. Trotzdem erhalten sie die
volle Leistung. Und was, wenn es
jetzt zu Problemen amArbeitsplatz
kommt? Ein einfaches Verfahren
vor demArbeitsgericht etwa kostet
rund 3.800 Euro – das ist un-
gefähr die Summe, die ein AK
Mitglied ein Arbeitsleben lang
(!) als Solidarbeitrag leistet. Wer
wird im Ernstfall ein Verfahren
führen und wer für die Kosten
aufkommen? Die neos? Die
FPÖ? Mit Sicherheit nicht, ob-
wohl sie mit Millionenbeiträgen
der Steuerzahler, sprich Parteien-
förderung, unterstützt werden. Die
Foto: fotomek
/Fotolia.comFoto: National Archives
Ohne AK
gibt es …
...
keinen
Rechtsschutz und
keine
Hilfe
bei allen Fragen des Arbeits- und
Sozialrechts
...
keine
Rechtsberatung und
keine
Hilfe vor Gericht
...
keine
Unterstützung bei allen Fragen
rund um Lehrlinge und Jugend,
Pflege und Pensionen oder Kranken-
und Arbeitslosengeld
...
keine
Beratung und keine Hilfe bei
allen Konsumentenschutzfragen
...
keine
Beratung und keine Hilfe beim
Wohn- und Mietrecht sowie in Steuer-
undWirtschaftsfragen
...
keine
Hilfe bei Problemen mit Be-
triebskostenabrechnungen oder dem
Steuerausgleich
...
keine
Beratung zur Weiterbildung
sowie keine Weiterbildungsbeihilfen
...
keine
starke Arbeitnehmervertre-
tung, die gegen kalte Progression,
Lohn- und Sozialdumping oder
Ausweitung der Arbeitszeit kämpft
... keine Hilfe für in Not geratene
Beschäftigte und deren Familien im
Rahmen des Unterstützungsfonds
...
keine
Ausbildungsbeihilfen und
Beratungen für Schüler, Lehrlinge
und Studenten
...
keine
Ferienaktion für Kinder
...
keine
Gratis-Nachhilfe für Lehrlinge
...
keine
Jugendprojekte
...
keine
kostengünstigen Nachhilfe-
kurse wie z. B. die Sommerschule
1946
1951
1948
1947
1959
1960
Arbeiterurlaubsgesetz:
Anspruch auf 12 Tage nach
1 Dienstjahr, auf 18 Tage nach
5 Dienstjahren, auf 24 Tage
nach 15 Dienstjahren
Mindest-
lohntarife,
Wohnungs-
beihilfe zum
Mietzins
Pension
für Frauen,
Witwen-
rente
Sozialversicherungs-,
Kollektivvertrags-,
Betriebsräte-
und
Arbeitsinspektions-
gesetz
Mutter-
schutzgesetz:
6Wochen
Krankengeld
für alle Mütter
45-Stunden-
Woche
für
alle;
Gründung
des BFI
Säuglings-,
Geburtenbeihilfe
und Karenzurlaubsgeld
werden beschlossen
und gelten ab 1961
Wiederaufbau
& Sozialstaat
Der Einsatz der AK für
Österreichs Beschäftigte
1957
Fotos (v. li.): Peter Cürlis, National Archives, kuco (5), Alpenbild (2)
wichtigsten zwei Zahlen aber zum
Schluss, denn sie zeigen, worum
es bei der Diffamierung derArbei-
terkammern wirklich geht: 2016
betrugen die Solidarbeiträge der
AK Mitglieder österreichweit
432
Millionen Euro
, erkämpft wur-
den jedoch
532 Millionen Euro
–
Geld, das direkt und zur Gänze an
die Mitglieder floss. Geld, das den
Arbeitnehmern zusteht und um
das sie ohne AK umgefallen wä-
ren. Wer also die Solidarbeiträge
kürzen oder abschaffen will, soll
sagen, dass es ihm vor allem um
eines geht: um die 532 Millionen
Euro, die den Beschäftigten zuste-
hen. Hier will man inWirklichkeit
den Rotstift ansetzen. Die mehr
als 3,6 Millionen Arbeitneh-
mer in Österreich wären damit
doppelt Verlierer: Sie würden
nicht nur ihre Rechte und ih-
ren Schutz einbüßen, sondern
würden durch diese neolibe-
ralen Experimente auch um
viel Geld umfallen. Und das
ist die ganze Wahrheit, die
in keinem dieser Wahlpro-
gramme aufscheint.
Arbeiterkammern werden aufgelöst
Nach der Besetzung Österreichs
werden die Arbeiterkammern und
der Gewerkschaftsbund auf Anord-
nung des „Stillhaltekommissars für
Vereine, Organisationen und Ver-
bände“ am 10. Juni 1938 aufgelöst,
ihr Besitz wird konfisziert und der
„Deutschen Arbeitsfront“ übertra-
Verwaltungskommissionen
1933/34 bringt das Ende für
die von den Arbeitnehmern frei
gewählten Organe der Kammer. An
ihre Stelle treten durch Verordnung
der Bundesregierung Verwaltungs-
kommissionen. Im autoritären
Ständestaat werden die Kammern
vollkommen ausgeschaltet.
Ohne AK gibt es drei
Millionen Verlierer!