A
RBEIT
&
S
OZIALES
8
Nr. 99, September 2017
Thema Kurzzeitkündigung
Sozialabbau durch die Hintertür
Abgabenquote.
„Der Staat verschlingt Geld und ist ineffizient. Die Abgabenquote muss runter!“ Statements dieser
Art sorgen vor allem vor Wahlen für Gesprächsstoff. Was aber steckt wirklich hinter der ominösen Quote?
AK fordert
Konsequenzen
F
ür viele Betriebe, vor allem in den
Saisonbranchen Bauwirtschaft und
Tourismus, sind kurzzeitige Kündigungen
eine attraktive Strategie, Personalkosten
zu optimieren und unternehmerische
Risiken abzuwälzen. Weil diese Kündi-
gungen aber Folgekosten verursachen,
muss jemand am Ende die Zeche bezah-
len: Das sind die Beschäftigten und jene
Betriebe, die stabile Dienstverhältnisse
bieten. Diese Situation ist unbefriedi-
gend und ungerecht, speziell in Tirol, wo
aufgrund der hohen Tourismusdichte die
Praxis der zwischenzeitlichen Kündigung
sehr häufig angewandt wird. Was könnte
also getan werden, um das zu ändern?
Die AK fordert in dieser Frage ein rasches
Umdenken bei der Wirtschaftsförderung
des Landes.
So sollen in erster Linie Betriebe unter-
stützt werden, die ganzjährig tätig sind
bzw. Ganzjahresarbeitsplätze anbieten.
Außerdem sollten Betriebe, die im über-
durchschnittlichen Ausmaß das Zwischen-
parken beimAMS betreiben, bei den
Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung
stärker in die Pflicht genommen werden,
weil sie ja auch überdurchschnittlich viel
Arbeitslosigkeit verursachen. Dadurch
müssten die Unternehmen die tatsäch-
lichen Kosten, welche die temporären
Lay-Offs verursachen, in der Unterneh-
menskalkulation einpreisen. Dies würde
Anreize schaffen, stabile Beschäftigungs-
verhältnisse zu bieten. Vor allem aber
bliebe das Verursacherprinzip gewahrt:
Derjenige, der Kosten verursacht, soll
sie auch bezahlen. Es ist an der Zeit, die
Lasten, die durch Kurzzeitkündigungen
entstehen, gerecht zu verteilen!
AMS-PARKING
AKUT
Kurzzeit-Stopp beimAMS
Saisonbedingte Kündigung.
Das Risiko von Unternehmen ist es, dass einmal nichts los ist:
keine Aufträge, keine Gäste. Trotzdem müssen Gehälter gezahlt werden. Einige reagieren
mit zwischenzeitlichen Kündigungen von Beschäftigten: Zwischenparken beim AMS.
W
en treffen Kurzzeitkündigungen
besonders häufig? In der Regel
sind eher männliche Beschäftigte
von Kurzzeitkündigungen betroffen.
Überdurchschnittlich sind es Personen,
die entweder über einen Pflichtschul-
oder Lehrabschluss verfügen. Öfter
betroffen sind auch Personen mit
türkischer Staatsbürgerschaft oder aus
dem ehemaligen Jugoslawien. Das
deshalb, weil viele Personen aus diesen
Staaten in der heimischen Baubranche
tätig sind, in der diese Praxis häufig
angewandt wird.
W
ie eine aktuelle Unter-
suchung des österreichi-
schen Wirtschaftsfor-
schungsinstituts Wifo
zeigt, ist das Zwischenparken von
Arbeitskräften beim Arbeitsmarkt-
service sehr verbreitet. 2016 wurde
fast jeder zwanzigste Beschäftigte
in Österreich zumindest einmal
zwischenzeitlich gekündigt, um
dann beim selben Arbeitgeber wie-
der eingestellt zu werden.
Fast 15 % der Betriebe in Öster-
reich setzten Kurzzeitkündigungen
ein. In einigen Branchen wird mas-
siv davon Gebrauch gemacht: Fast
die Hälfte der Kurzzeitkündigungen
finden in Bauwirtschaft und Tou-
rismus statt. Die Konsequenzen für
die Betroffenen sind erheblich: Im
Schnitt werden rund 60 Tage pro
Jahr dadurch in der Arbeitslosigkeit
D
ie Abgabenquote drückt
die Summe der Steu-
ern und Abgaben an den
Staat im Verhältnis zur
Wirtschaftsleistung aus. Nach Sta-
tistiken der OECD liegt die Abga-
benquote in Österreich bei 43,5 %,
in der Schweiz bei 27,9 %. Ist die
Schweiz also so viel effizienter mit
dem Geld der Bürger? Was sagt die
Quote wirklich aus?
Das Brisante liegt wie so oft im
Detail. Denn dieAbgabenquote, wie
sie von der OECD berechnet wird,
berücksichtigt nur direkte Zah-
lungen an den Sektor Staat. Indi-
rekte Zahlungen werden aber nicht
berücksichtigt.
Ein Beispiel: Österreich hat ein
staatliches Pensionsversicherungs-
system, das mit öffentlichen Geldern
finanziert wird. Die dafür eingeho-
benen Sozialversicherungsbeiträge
gehen an die öffentliche Hand und
fließen damit in die Abgabenquote
ein. Das Schweizer Pensionssystem
ist im Gegensatz dazu viel stärker
privat organisiert: Es gibt zwar eine
I
n Österreich ist vieles öffentlich
finanziert, das anderswo privat ist.
Relativ hohen Abgaben steht auch ein
hohes Niveau öffentlicher Leistungen
gegenüber. Während in den USA
die privaten Ausgaben für Gesund-
heitsleistungen 8,3 % der jährlichen
Wirtschaftsleistung ausmachen (eine
gewaltige Summe), betragen sie in
Österreich nur 2,5 % – dank des öffent-
lichen Gesundheitssystems. Dahinter
steckt eine Vertei-
lungsfra-
ge: Denn private Krankenversorgung
ist teuer und nur, wer viel Geld hat,
kommt in den Genuss dieser Leistun-
gen. Dasselbe gilt für die Bildung.
Die privaten Ausgaben der Amerika-
ner für Bildung und Schulen machen
3,9 % des Bruttoinlandproduktes aus,
in Österreich sind es aufgrund des gu-
ten öffentlichen Schulsystems nur 0,3
%. Ausbildungschancen in Österreich
sind deshalb weniger vom Einkommen
abhängig als in den USA.
Heiße Sache.
Vor allem in Saisonbranchen wie dem Tourismus ist es üblich, Mitarbeiter beim AMS zu „parken“: Eine teure Lösung für Mitarbeiter und Allgemeinheit.
verbracht. Phasen, die für die Be-
troffenen Einkommensverluste mit
sich bringen. Längerfristig verlieren
die Arbeitnehmer durch die immer
wiederkehrenden Phasen von Ar-
beitslosigkeit aber auch an Pen-
sionsansprüchen. Die Folgen am
Arbeitsmarkt sind deutlich spürbar:
Im Jahr 2016 betrug die Arbeits-
losenquote in Österreich 9,1 %.
Wären alle Personen, die vom Zwi-
schenparken beim AMS betroffen
waren, stattdessen in Beschäftigung
geblieben, so hätte dieArbeitslosen-
rate nur 8,0 % betragen – ein mehr
als spürbarer Unterschied!
Es sind aber nicht nur die Be-
troffenen, die „draufzahlen“, son-
dern auch die Allgemeinheit. Denn
durch die zwischenzeitlichen Kün-
digungen werden der Öffentlichkeit
Kosten auferlegt, die eigentlich un-
ternehmerisches Risiko sind: näm-
lich auch in wirtschaftlich etwas
dürreren Zeiten Personalaufwand
zu haben. Durch die Kurzzeitkün-
digungen werden pro Jahr Kosten
in der Höhe von etwa 450 Millio-
nen Euro verursacht, eine Summe,
die die Öffentlichkeit zu tragen hat.
Und zwar für Arbeitslosengeld und
Notstandshilfe für die Betroffenen.
Hinzu kommen noch indirekte
volkswirtschaftliche Kosten, wie
etwa weniger Konsum durch das
entgangene Einkommen und die
später einmal niedrigere Pension.
Darüber hinaus weisen die Betrof-
fenen instabile Erwerbskarrieren
auf und verfügen über geringere
Löhne und Gehälter, selbst wenn sie
beschäftigt sind.
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Analyse: Privat vs. Staat?
gesetzliche Versicherungspflicht,
die Zahlungen gehen aber an private
Träger. Die Folge: eine niedrigere
Abgabenquote, weil die Gelder
nicht an den Staat gehen. Gezahlt
werden muss aber trotzdem!
Korrigiert man die Abgabenquote
um solche Zahlungen, liegen Öster-
reich und die Schweiz mit ihren tat-
sächlichen Abgabenquoten plötz-
lich sehr eng beieinander. Das lässt
die Situation in Österreich in einem
anderen Licht erscheinen.
Es ist also Vorsicht geboten, denn
mit scheinbar objektiven Zahlen
wird versucht, den
Sozialabbau zu recht-
fertigen!
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