Tiroler Arbeiterzeitung - page 3

TAZ: Wie stehen Sie zu Steuern auf
große Vermögen?
Erwin Zangerl:
Wir haben in Öster-
reich die niedrigsten Steuern auf Milli-
onenvermögen. Auf der anderen Seite
finanzieren die Arbeitnehmer mit ihren
Steuern zu zwei Dritteln den Staat. Hier
muss endlich ein Ausgleich geschaffen
werden. Es ist Zeit, dass auch die Ver-
mögenden ihren Beitrag leisten.
TAZ: Ist nach der Krise schon wieder
vor der Krise?
Zangerl:
Das wäre furchtbar, denn es
sind noch nicht einmal die Schäden
ansatzweise getilgt. Stellen wir uns vor:
Rund 33 Milliarden Euro dürfte die
Krise den Staat Österreich gekostet
haben: um die Wirtschaft in Gang zu
halten, um die Mindereinnahmen zu
decken und um die Banken zu retten,
die sich mit windigen Finanzgeschäf-
ten verspekuliert hatten. Und jetzt, wo
die Budgets deshalb aus dem Ruder
gelaufen sind, sollen einmal mehr die
Bürger die Zeche zahlen. Unser Pensi-
onssystem, die so wichtigen Aufgaben
des Sozialstaates werden systematisch
schlecht geredet, genau von jenen Krei-
sen, die die Verursacher dieses Deba-
kels waren. Der Neoliberalismus hat
gezeigt, welche Schäden er in den euro-
päischen Staaten angerichtet hat. Umso
empörter bin ich, dass manche Parteien
aus diesem Desaster nichts gelernt ha-
ben und wiederum auf Privatisierungen
und Deregulierungen setzen. Hier sind
Leute aus Industrie und Wirtschaft
am Werk, denen es viel zu wenig um
die Anliegen der Bürger geht. Als Ar-
beitnehmervertreter werden wir gegen
dieses Wählervertreibungsprogramm
deutlich auftreten.
TAZ: Sie halten nichts von weiteren
Privatisierungen?
Zangerl:
Analysieren wir einfach das
Resultat. Der Staat hat im großen Stil
unser Eigentum zu Okkasionspreisen
verschleudert. Verdient daran haben ein
paar windige Figuren, draufgezahlt ha-
ben die Bürger. Schauen wir doch, was
aus den tollen Privatisierungen und Bör-
sengängen geworden ist. Telekom, Post,
Kasernen, Buwog, Bundesforste? Die
Gewinne haben Aktionäre und Mana-
ger lukriert, die Verluste wurden auf die
Allgemeinheit abgewälzt. Genauso wäre
das etwa bei den ÖBB.
TAZ: Im kommenden Jahr finden in
Tirol Landtagswahlen statt, wie sehen
Sie derzeit die Lage?
Zangerl:
Vorausschicken möchte ich,
dass die Menschen gerne in Tirol leben
und sie mit ihrer Situation großteils zu-
frieden sind, meist weil vor allem das
private Umfeld passt. Wir haben die so
wichtigen Strukturen in den Gemein-
den mit vielen Ehrenamtlichen und gu-
ten sozialen Einrichtungen. Wir haben
eine relativ niedrige Arbeitslosigkeit, die
Beschäftigten arbeiten hochmotiviert
und erbringen überdurchschnittliche
Leistungen. Nicht umsonst floriert des-
halb unser Land. Das ist umso positiver
zu werten, weil ich zurzeit sehr wenig ar-
beitnehmerfreundliche Politik im Land
erkenne.
TAZ: Was meinen Sie konkret?
Zangerl:
Wir haben nach wie vor die
niedrigsten Verdienste und die teu-
ersten Lebenshaltungskosten. Wohnen
und Leben werden immer schwieriger
zu finanzieren. Die Heizölpreise ha-
ben sich in drei Jahren verdoppelt, für
Pendler sind ebenfalls die Preise explo-
diert. Auch die Gasthauspreise liegen
im Vergleich zum Einkommen deutlich
höher, wie wir demnächst nachweisen
werden. All das ist nicht spurlos an
den Tiroler Haushalten vorbeigegan-
gen. Wir haben inzwischen die höchste
Frauenerwerbsquote in Österreich, weil
mit einem Einkommen nicht mehr
das Auskommen zu finden ist. Diese
zusätzlichen Jobs sind aber meist Teil-
zeit und nicht ganzjährig. Viele Pensi-
onisten wissen nicht mehr, wie sie das
Leben finanzieren sollen. Immer mehr
Menschen droht der soziale Abstieg.
Wir brauchen qualitätsvollere Arbeits-
plätze. Oder aber wir müssen es wie
die Wirtschaft machen, die sämtliche
Erhöhungen auf Rohstoffe, Energie-
oder die Transportkosten Eins zu Eins
auf die Konsumenten abwälzt. Auch
wir sollten die tatsächliche Teuerung
gemeinsam mit dem ÖGB zuerst auf-
rechnen und auf dieser Basis dann die
Löhne verhandeln.
TAZ: ÖGB und AK haben LH Platter
zuletzt wegen der Shopping-Night in
Innsbruck massiv kritisiert. Worum
geht es genau?
Zangerl:
Kaufen bis die Kreditkarte
glüht, so wurde die Shopping-Night
beworben. Ist dieser Tanz ums goldene
Kalb noch normal? Wir zeigen auf der
einen Seite permanent auf, wie hoch die
Verschuldung der Tiroler Haushalte be-
reits ist. Wir gehen in die Schulen, um
den Jungen den richtigen Umgang mit
Geld zu vermitteln. Leben auf Pump
kann nicht die Zukunft sein. Und dazu
halten wir als Arbeitnehmer und Konsu-
menten die Wirtschaft am Leben. Der
Handel schreibt Rekordumsätze. All das
ist aber diesen Herrschaften noch nicht
genug. Night-Shopping ist angesagt in
allen größeren Ortschaften. Damit wird
gegen Landtagsbeschlüsse und Sozial-
partnervereinbarungen verstoßen, auf
Kosten der meist weiblichen Beschäf-
tigten und ihrer Kinder. Der Landes-
hauptmann hat sich in Innsbruck mit
seinem grenzenlosen Ja gegen alle Be-
schlüsse und Vereinbarungen auf Anra-
ten der Bürgermeisterin hinweggesetzt
(siehe unten). Wir wären einverstanden
gewesen mit einer Shopping-Night in
der Innenstadt, aber nicht in den Ein-
kaufszentren am Stadtrand. Jetzt kön-
nen sich alle Einkaufszentren auf den
Herrn Landeshauptmann berufen. Bei
diesem Gesetzesbruch machen wir si-
cher nicht mit. Wir wissen jetzt, was
eine Landtagsentschließung wert ist
und müssen an der Standhaftigkeit des
Landeshauptmannes gegenüber getrof-
fenen Vereinbarungen zweifeln. Tirol ist
auf dem besten Weg, ein Land der Ge-
setzlosigkeit zu werden. LH Platter hat
vor den Interessen der Einkaufszentren
kapituliert. Damit signalisiert er auch
allen anderen im Land: Die Büchse
der Pandora ist geöffnet. Das reiht sich
nahtlos in die Willkür bei Agrargemein-
schaften, Liftgesellschaften und jetzt
dem Handel. Es bekommt System in
Tirol: Jeder, der Geld hat, richtet es sich,
wie er es braucht. <<
Im Gespräch.
AK Präsident Erwin Zangerl spricht im TAZ-Interview zu aktuellen Themen wie Vermögenssteuern,
Sozialstaat, Verteilungsfragen, Lage der Arbeitnehmer in Tirol und zur Innsbrucker Shopping-Night.
AK Präsident Zangerl: „Der
Willkür
im Land
wurde Tür und Tor geöffnet“
Erwin Zangerl:
„Ich erkenne zu wenig arbeitnehmerfreundliche Politik im Land.“
THEMA:
OFFEN GESAGT
3
Nr. 44, Oktober 2012
Wie sozial ist
Tirols Budget?
Landesbudget.
Wie 751 Millionen Euro „Sozial-Ausgaben“
durch Rückflüsse und -ersätze zu 249 Millionen Euro schrumpfen.
F
ür 2013 wurden die Gesamt-Aus-
gaben im Landesbudget mit rund
2,966 Mrd. Euro budgetiert, die
sich wie folgt zusammensetzen: Soziale
Wohlfahrt und Wohn­bauförderung
(751 Mio. €), Unterricht, Sport und
Wissenschaft (653 Mio. €), Gesund-
heit (595 Mio. €), Vertretungskörper
und Verwaltung (296 Mio. €), Finanz-
wirtschaft (224 Mio. €), Straßen- und
Wasserbau, Verkehr (193 Mio. €),
Wirtschaftsförderung (154 Mio. €),
Kunst und Kultur (77 Mio. €), Dienst-
leistungen (13 Mio. €) und Öffentliche
Ordnung und Sicherheit (11 Mio. €).
Gerne behauptet man von Seiten
des Landes, dass die größten Budget-
brocken auf „Sozialausgaben“ entfal-
len würden. Diese Gruppe stellt auf
den ersten Blick mit Ausgaben von
751 Mio. Euro tatsächlich die größte
Summe dar. Das relativiert sich aber
rasch. Da muss zunächst die Wohn­
bauförderung (244,4 Mio. €) ausge-
schieden werden, verbleiben noch 507
Mio. Euro, wovon die meisten Ausga-
ben (399 Mio. €) auf Maßnahmen der
allgemeinen öffentlichen Wohlfahrt
entfallen, wie z.B. allgemeine Sozial-
hilfe, Altersheime, Pflegefonds, Behin-
dertenhilfe oder Kriegsopferunterstüt-
zung. Durch zahlreiche Formen von
Rückflüssen und Rückersätzen sinken
diese Wohlfahrtskosten um 223 Mio.
Euro auf eine Netto-Belastung von
176 Mio. Euro.
Auch bei den familienpolitischen
Maßnahmen (z.B. Mietzins- und An-
nuitätenbeihilfe, Familien-, Frauen-,
Senioren- und Ausländerförderung,
Heizkostenzuschuss,
Pendlerförde-
rung, Schulstarthilfe) reduziert sich die
Budgetbelastung von insgesamt 41,5
Mio. Euro aufgrund der Gemeinde-
beiträge auf 34,4 Mio. Euro. Bei den
Maßnahmen der Jugendwohlfahrt
(39 Mio. €) mindern Gemeindebei-
träge oder Ersätze die Belastung auf
24 Mio. Euro. Von den Ausgaben
für Freie Wohlfahrt (Flüchtlingshilfe
inkl. Grundversorgung, Pflegeheime,
Entwicklungshilfe) in Höhe von 24
Mio. Euro, bleiben durch Rückflüsse
(Bundesbeiträge, Personalkostenersatz
Tilak) noch 11 Mio. Euro übrig! Ver-
bleibt beim Budgetposten Soziales eine
Nettobelastung des Landes Tirol in
Höhe von 249 Mio. Euro.
<<
Foto:Dimitry Ersler
„Es bekommt System in Tirol:
Jeder, der Geld hat, richtet
es sich, wie er es braucht.
Erwin Zangerl
Nachgerechnet
. Diese Ausgaben
bleiben tatsächlich für Soziales übrig.
 Regeln
gebrochen
Nachteinkauf.
LH Platter bricht Vereinbarung,
die Wirtschaft lobt den Tanz ums goldene Kalb.
D
er Landeshauptmann hat mit
der Genehmigung der In-
nsbrucker Shopping-Night
bestehende Vereinbarungen und Ver-
ordnungen gebrochen. Damit ist dem
Wildwuchs Tür und Tor geöffnet.
Und die Wirtschaftskammer, die die
Verordnung mitbeschlossen hat? Sie
applaudiert zum Gesetzesbruch in der
Hoffnung, dass beim Konsumenten
im Rahmen dieser Einkaufsnächte
das Geld lockerer sitzt. Im Wissen,
dass der Konsument das, was er in
der Tasche hat, nur einmal ausgeben
kann, egal wann. Geld, das in immer
mehr Haushalten ohnedies immer
knapper wird.
Das gilt derzeit.
Zu den gel-
tenden Öffnungszeiten können die
Gemeinden zusätzlich an zwei Ta-
gen pro Jahr aus besonderem Anlass
ein längeres Offenhalten beim Land
beantragen. Der Landeshauptmann
kann nach Anhörung der gesetzlichen
Interessenvertretungen
Öffnungs-
zeiten anlassbezogen auch über 21
Uhr festlegen insbesondere in
histo-
rischen Orts- und Stadtkernen oder
in Gebieten, in denen bedeutende
Veranstaltungen stattfinden.
Vereinbarung gebrochen.
In Tirol wurden durch die
Sozialpart-
nereinigung vom März 2005
diese
Voraussetzungen noch konkretisiert,
wobei
reine Shopping- und Ein-
kaufsveranstaltungen ausdrücklich
ausgenommen sind und es sich um
Veranstaltungen mit besonderer lo-
kaler, regionaler oder überregionaler
Bedeutung handeln muss.
Und Innsbruck?
Die Ein-
kaufsnacht bezog sich auf das gesamte
Stadtgebiet mit allen Einkaufszenten
am Stadtrand (!). Anlass war auch kei-
ne Veranstaltung mit besonderer lo-
kaler, regionaler oder überregionaler
Bedeutung.
<<
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