Tiroler Arbeiterzeitung - page 8

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THEMA:
RECHT & KONSUMENT
Nr. 48, Februar 2013
Rietzer
Piefke-Saga beendet
AK Rechtsschutz.
Die Besitzer jener Häuser, die auf einer Müllhalde errichtet wurden und absanken,
können aufatmen: Laut Urteil des OLG Innsbruck muss die Gemeinde die Sanierung zahlen.
D
ie drei Häuser wurden Anfang
der 90er Jahre auf Grundstücken
errichtet, die von der Gemeinde
an die Häuslbauer verkauft wurden. Im
Zuge des Erwerbs der Grundstücke er-
folgten keinerlei Hinweise oder Aufklä-
rungen seitens der Gemeinde hinsicht-
lich einer allfälligen Deponiebelastung.
Den Grundstückseigentümern war nicht
bekannt, dass sich früher auf diesem
Grund eine Mülldeponie befand. In der
Folge taten sich einige Jahre später bei
den drei Reihenhäusern an den Wänden
und Böden Risse auf. Erst 2006 erfuhren
die Betroffenen, dass ihre Häuser auf ei-
ner Mülldeponie stehen. Ein Reihenhaus
wies bereits derart große Schäden auf,
dass sogar ein Räumungsbescheid erlas-
sen wurde.
Da sich die Gemeinde weigerte, für
die Entschädigung der Häuslbauer auf-
Erfolg.
Die Gemeinde Rietz muss rund 680.000 Euro (samt Zinsen) für die Sanierung der Häuser zahlen.
Augen auf.
Schnell unterschrieben und dann bereut: So geht es vielen Konsumenten, die voreilig
Verträge abschließen. Denn nur in Ausnahmefällen ist ein kostenloser Rücktritt möglich.
F
rau Müller überlegt schon län-
ger, ein neues Auto zu kaufen.
Sie geht zum Händler, entschei-
det sich spontan, und schon ist der
Kaufvertrag unterschrieben. Zu Hause
kommen ihr Zweifel. Hat sie das Recht,
den Vertrag kostenlos rückgängig zu
machen? Nein! Denn grundsätzlich
gilt: Verträge, ob schriftlich oder münd-
lich abgeschlossen, sind einzuhalten!
Gesetzliche Rücktrittsrechte sind eine
Ausnahme und bestehen nur für ganz
bestimmte Situationen, in denen man
überrumpelt worden sein könnte.
Tipp.
Ist man sich beim Kauf nicht
ganz sicher, mit der Unterschrift war-
ten, bis alle Bedenken beseitigt sind.
Oder schriftlich ein kostenloses Rück-
trittsrecht vereinbaren.
Haustürgeschäft.
Es läu-
tet, ein Vertreter steht vor der Woh-
nungstür und will Sie überzeugen,
den Telefonanbieter zu wechseln. Bei
derartigen Haustürgeschäften gibt es
ein einwöchiges Rücktrittsrecht. Ein
Haustürgeschäft liegt insbesondere
dann vor, wenn der Konsument seine
Vertragserklärung weder in den Ge-
schäftsräumlichkeiten, noch auf einem
Messe- oder Marktstand des Unter-
nehmers abgegeben hat. Auch bei
Geschäftsabschlüssen anlässlich einer
Werbefahrt bzw. Werbeveranstaltung
besteht dieses gesetzliche Rücktritts-
recht. Die einwöchige Rücktrittsfrist
beginnt mit Ausfolgung einer Urkun-
de, die u. a. Namen und Anschrift des
Unternehmens sowie die Rücktritts-
belehrung enthalten muss, frühestens
jedoch mit dem Zustandekommen des
Vertrags zu laufen. Manche Unterneh-
men erweitern in ihren Verträgen (All-
gemeine Geschäftsbedingungen) teil-
weise diese Frist. Wichtig ist, dass der
Rücktritt jedenfalls schriftlich und – zu
Beweiszwecken – auch nachweislich
erklärt wird. Ein Anruf beim Vertreter,
der in der Wohnung zu Besuch war,
genügt hierbei nicht, wenn dieser spä-
ter nichts mehr davon weiß. Verlassen
Sie sich also nicht auf noch so glaub-
haft formulierte mündliche Zusagen,
sondern erklären Sie jeden Rücktritt
immer sofort schriftlich und zwar per
Einschreiben mit Rückschein.
Werbefahrt.
Dieses Rücktritts-
recht besteht auch, wenn Sie vom
Unternehmer im Rahmen einer Wer-
befahrt, einer ähnlichen Veranstaltung
oder durch persönliches Ansprechen
auf der Straße in seine Geschäftsräume
gebracht worden sind. Die Rücktritts-
frist beträgt eine Woche. Den Rücktritt
am besten schriftlich per Einschreiben
mit Rückschein erklären. Es gilt das
Datum des Poststempels. Die Frist
beginnt aber erst mit der schriftlichen
Belehrung über das Rücktrittsrecht zu
laufen. Wird nicht oder fehlerhaft be-
lehrt, haben Sie ein unbefristetes Rück-
trittsrecht.
Die schnelle Unterschrift
kann
ganz schön teuer
sein
Aufgepasst.
Bei sogenannten Haustürgeschäften gibt es ein Rücktrittsrecht binnen einer Woche.
Wer eine Reise macht,
kann einiges
erleben.
SACHEN GIBTS
Reise gebucht,
Hotelfotos egal?
Foto:DanRace/Fotolia.com
E
in Ehepaar entschloss sich
kurzfristig zu einer Reise nach
Amsterdam. Im Reisebüro suchten
die Eheleute in verschiedenen Ka-
talogen nach einem Hotel. Dabei
stach ihnen ein Haus ins Auge, mit
dem Foto einer sonnigen Terrasse
an einer Gracht. Dieses Hotel wur-
de spontan ausgewählt. Kurz darauf
traten sie die Amsterdam-Reise an.
Nach der Ankunft suchte das Ehe-
paar die gebuchte Unterkunft auf
und freute sich bereits auf Kaffee
und Kuchen auf der Terrasse des
Hotels. Die beidne mussten jedoch
zu ihrer Verärgerung feststellen,
dass das Hotel auf dem Foto im Ka-
talog ein anderes war als jenes, in
dem sie tatsächlich untergebracht
waren, ganz zu schweigen von der
Terrasse, die gar nicht vorhanden
war. Am darauffolgenden Tag ent-
deckten sie die Terrasse in zirka ein-
einhalb Kilometer Entfernung.
Nach der Rückkehr vom Urlaub
holte sich das Ehepaar die Hilfe der
Konsumentenschützer der AK Tirol
ein. TUI Deutschland als zustän-
diger Reiseveranstalter antwor-
tete auf die AK Intervention, dass
das direkt neben der Beschreibung
befindliche Foto nicht suggeriere,
dass sich vor dem Hotel oder in
seiner unmittelbaren Nähe eine
Gracht mit einer darin liegenden
Terrasse befinde. Entscheidend sei
die Beschreibung der Lage des Ho-
tels.
Das widerspricht nach Ansicht
der AK Tirol jedoch klar demRechts-
grundsatz der Prospektwahrheit
im Reiserecht. Da TUI Deutschland
sämtliche Forderungen ablehnte,
wurde dem Ehepaar freiwilliger
Rechtsschutz gewährt, und es wird
Klage beim Bezirksgericht Inns-
bruck eingebracht.
Versicherungen.
Bei Versiche-
rungsverträgen besteht ein allgemeines
Rücktrittsrecht für Verbraucher mit
einer Rücktrittsfrist von 14 Tagen ab
Zugang des Versicherungsscheins,
der Versicherungsbedingungen, be-
stimmter Informationen und einer
Belehrung über das Rücktrittsrecht.
Der Rücktritt ist schriftlich zu erklä-
ren. Zu Beweiszwecken empfiehlt sich
auch hier die Rücktrittserklärung per
Einschreiben mit Rückschein. Kopie
des Schreibens, Einschreibzettel und
Rückschein gut aufbewahren! Da eine
entsprechende Regelung fehlt, ist das
Rücktrittsschreiben sicherheitshalber
so rechtzeitig abzuschicken, dass es
innerhalb der Rücktrittsfrist bei der
Versicherung einlangt. Das Rücktritts-
recht erlischt spätestens einen Monat
nach Zugang des Versicherungsscheins
und der Rücktrittsbelehrung. Für Le-
bensversicherungsverträge besteht zu-
sätzlich ein spezielles Rücktrittsrecht
von 30 Tagen, dessen Voraussetzungen
im Einzelfall zu prüfen sind.
Internet & Teleshopping.
Konsumenten haben auch ein Rück-
trittsrecht bei Verträgen, die im so-
genannten Fernabsatz abgeschlossen
wurden. Die Vertragspartner sind sich
dabei zu keinem Zeitpunkt persönlich
gegenübergestanden. Dazu zählen z.B.
Bestellungen im Versandhandel, Tele-
shopping oder Internetbestellungen.
Sie können binnen sieben Werktagen
(Samstage werden nicht mitgezählt)
nach Abschluss des Vertrages bzw. ab
Eingang der bestellten Ware schriftlich
zurücktreten, am besten eingeschrie-
ben mit Rückschein. Die Frist beginnt
jedoch erst zu laufen, wenn die Infor-
mations- und Bestätigungspflichten
eingehalten wurden, wie unter ande-
rem Name und Anschrift des Unter-
nehmers sowie der schriftliche Hinweis
auf das Rücktrittsrecht. Ansonsten ver-
längert sich das Rücktrittsrecht auf drei
Monate.
Achtung!
Reisebuchungen über
das Internet sind vom kostenlosen
Rücktrittsrecht ausgenommen.
<<
Broschüre
Rücktrittsrechte
Details zu den Rücktrittsrechten
samt Musterbriefen und was für
Besonderheiten bei Haustürge-
schäften mit Zeitschriftenabos,
bei Versicherungen und Lebens-
versicherungen, bei Kredit- und
Bauträgerverträgen u.v.m. gelten,
steht in der neuen AK-Broschüre
„Rücktrittsrechte“. Herunterladen
unter
zukommen, mussten die betroffenen Familien vor
Gericht ziehen und erhielten von der AK Tirol
Rechtsschutz. Mit Hilfe von RA Dr. Thomas Girar-
di konnte nunmehr für die betroffenen Familien ein
wichtiges Urteil erreicht werden. Das OLG Inns-
bruck bestätigte das Ersturteil des Landesgerichtes:
Die Gemeinde Rietz muss den gerichtlich geltend
gemachten Betrag in Höhe von 620.393 Euro sowie
zusätzlich die geltend gemachten Zinsen bezahlen.
AK Präsident Erwin Zangerl: „Wir sind den
betroffenen AK Mitgliedern mit Rechtsschutz
zur Seite gestanden und sind erleichtert, dass die
Gerechtigkeit gesiegt hat. Ich hoffe, dass damit
diese jahrelange Piefke-Saga ein Ende hat und
die Sanierung der Häuser erfolgreich verläuft. Es
ist leider immer häufiger zu beobachten, dass so
lange prozessiert wird, bis einer Seite die Luft aus-
geht.“ Inzwischen wurde von der Gemeinde Rietz
beschlossen, die Mittel laut Urteil freizugeben,
damit mit der Sanierung der Häuser begonnen
werden kann.
<<
Foto:MichalAdamczyk/Fotolia.de
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