Tiroler Arbeiterzeitung - page 4

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THEMA:
ARBEIT & KRISE
Nr. 69, Dezember 2014
Ä
ltere Beschäftigte zeigen sich
angesichts der angespannten
Lage am Arbeitsmarkt zuneh-
mend resigniert. Sie halten die Ar-
beitsplätze in Österreich derzeit für am
wenigsten sicher. Rund jeder sechste
Beschäftigte über 45 bangt um den ei-
genen Arbeitsplatz.
Ältere länger arbeitslos.
Ende
November waren in Österreich laut
AMS rund 86.000 der über 50Jährigen
arbeitslos. Im Vergleich zum Vorjahr
stieg die Arbeitslosigkeit damit bei äl-
teren Beschäftigten am stärksten (um
14,5 %) an. Der Arbeitsklima-Index
zeigt: Ältere Beschäftigte hängen länger
in der Arbeitslosigkeit fest als jüngere.
Im Schnitt dauert die Arbeitssuche äl-
terer Arbeitsloser (ab 45 Jahre) zwei
Monate länger als bei Jüngeren (unter
26 Jahre).
Kritische Sicht.
Ältere Beschäf-
tigte sind auch deutlich pessimisti-
scher, was ihre Chancen am Arbeits-
markt angeht: Insgesamt glauben nur
27 % der über 45Jährigen, sie würden
leicht wieder einen neuen Arbeitsplatz
finden, wenn sie ihren jetzigen verlie-
ren. Am schlechtesten schätzen ältere
Arbeiterinnen und Arbeiter (19%)
und niedrigqualifizierte Personen über
45 (12%) ihre beruflichen Chancen
ein. Im Vergleich dazu glauben 72 %
der Unter-26Jährigen an einen relativ
leichten Einstieg.
AK Präsident Erwin Zangerl: „An-
statt von verschärften Zumutbarkeits-
bestimmungen für Arbeitsuchende zu
reden, sollten endlich die AK Forde-
rungen, wie die Reduktion von Über-
stunden und ein Bonus-Malus System
für die Beschäftigung von Über-50Jäh-
rigen umgesetzt werden.“
<<
Ältere Beschäftigte
resignieren
Trübe Aussichten.
Später in Pension, länger und mehr arbeiten – so lauten immer wieder
Forderungen aus der Wirtschaft. Für Über-45Jährige ist es immer schwieriger.
Dramatisch.
Zu alt für eine Stelle, das ist das Los vieler älterer Arbeitsuchender.
Dramatische Entwicklung
in Tirol
M
anchmal ist es notwendig, einen
Schritt zurückzutreten, um die
Größe eines Problems zu sehen.
Zum Thema Arbeitsmarkt wird man mit
vielen Zahlen konfrontiert, die aber nur sehr
kurzfristige Entwicklungen sichtbar machen.
Nimmt man jedoch einen Zeitraum von
fünf Jahren in den Blick, wird klar, dass sich
der Tiroler Arbeitsmarkt dramatisch verän-
dert hat. Sowohl die Beschäftigung, als auch
die Arbeitslosigkeit nahmen deutlich zu. Dies
erscheint auf den ersten Blick widersprüch-
lich, ist aber leicht zu erklären. Denn immer
mehr Menschen drängen auf den Tiroler Ar-
beitsmarkt, aber längst nicht alle finden eine
Beschäftigung bzw. viele finden nicht mehr
den Weg aus der Arbeitslosigkeit zurück in
die Beschäftigung.
Betroffenheit steigt.
Von 2008 bis 2013
stieg die Zahl der Beschäftigten in Tirol um
16.460 Personen an, wovon fast zwei Drittel
Frauen waren. 2013 waren in Tirol 312.148
Personen beschäftigt, um 5,6 % mehr als
fünf Jahre zuvor. Im gleichen Zeitraum stieg
die Zahl der Arbeitslosen in Tirol jedoch um
29 % an! Waren 2008 noch 16.397 Arbeitslo-
se im Jahresdurchschnitt zu verzeichnen, gab
es im Jahr 2013 bereits 21.190 Betroffene,
um 4.793 Menschen mehr als fünf Jahre zu-
vor.
Problembezirke.
Regional betrachtet gab
es große Unterschiede. Ausgerechnet die eher
gewerblich-industriell geprägten Regionen
Innsbruck-Stadt und Innsbruck-Land (beide
zusammen bilden einen Arbeitsmarktbezirk)
und Kufstein erlebten die größte Ausweitung
Wenig Hoffnung.
„Trotz zahlreicher Bewerbungen immer nur Absa-
gen, oft nicht einmal eine Antwort.“ So wie Andreas geht es immer
mehr Tirolern, die einen Vollzeitarbeitsplatz suchen.
D
ie Arbeitslosigkeit be-
ginnt, sobald man ein
Arbeitsverhältnis oder ein
freies Dienstverhältnis been-
det oder nach der Selbststän-
digkeit keine Beschäftigung
hat. Dann sollte man sofort
persönlich beim AMS Arbeits-
losengeld beantragen. Zuständig ist das AMS im jeweiligen
Wohnbezirk bzw. in jenem Bezirk, in dem man sich ständig
aufhält. Falls schon vorab bekannt ist, dass das Arbeitsver-
hältnis endet, können dies Beschäftigte auch schon frühzei-
tig mitteilen. Das Arbeitslosengeld soll die Lebensgrundlage
finanziell absichern, bis eine neue Beschäftigung gefunden ist.
W
enn Sie Arbeitslo-
sengeld beantragen,
bekommen Sie das Antrags-
formular zurück. Darauf ist
vermerkt, wann Sie es mit
den nötigen Unterlagen zu-
rück bringen müssen. Halten
Sie diesen Termin ein, selbst
wenn noch Unterlagen fehlen. Wenn Sie ihn versäumen, ver-
lieren Sie Ihren Anspruch bis zu Ihrer nächsten Vorsprache.
Ähnlich verhält es sich mit den Kontrollterminen: Sie bekom-
men erst wieder Geld, wenn Sie sich persönlich zurückmelden
und einen Verhinderungsgrund nachweisen können. Mehr In-
fos in der AK Sozialabteilung, Tel. 0800/22 55 22 - 1616.
D
er Grundbetrag des Ar-
beitslosengeldes beträgt
55 % des täglichen Nettoein-
kommens, das sich aus der Bei-
tragsgrundlage ergibt. Falls der
Grundbetrag niedriger als der
Ausgleichszulagenrichtsatz ist,
gibts einen Ergänzungsbetrag
bis auf 60 bzw. 80 % des täglichen Nettoeinkommens. Für
den ersten Antrag auf Arbeitslosengeld muss man für die
letzten 24 Monate mindestens 52 Wochen an arbeitslosen-
versicherungspflichtiger Beschäftigung nachweisen, bei wei-
teren Anträgen mindestens 28 Wochen in den letzten 12
Monaten. Bis 25 Jahre gelten eigene Regelungen.
Bedenklich.
Mehr Arbeitsplätze, aber noch deutlich mehr Arbeitslosigkeit. Rasante Veränderungen prägen den
Tiroler Arbeitsmarkt. Längst nicht alle sind positiv. Bezirke Innsbruck und Kufstein mit höchster Arbeitslosenzunahme.
Arbeitslos, was tun?
Termine einhalten!
So wird berechnet
AKTIV WERDEN
AK Zangerl:
Brauchen
Konjunkturpaket
Der Staat der
Arbeitslosen
D
urch die hohe Arbeitslosig-
keit verlieren die Betrof-
fenen viel Geld: Im Schnitt rund
650 Euro im Monat. Hochge-
rechnet auf mehr als 400.000
Arbeitsuchende in Österreich
bedeutet das mehr als 2,4 Mil-
liarden Euro. Diese Summe kön-
nen betroffene Arbeitnehmer –
als Träger des Wirtschafts- und
Sozialsystems – entsprechend
weniger investieren.
Ein doppelter Schaden also
für das heimische Wirtschafts-
und Sozialsystem. AK Präsident
Erwin Zangerl: „Um diesen Teu-
felskreis zu durchbrechen, brau-
chen wir ein Konjunkturpaket,
das vor allem beschäftigungs-
wirksam ist.“
D
ie Arbeitslosigkeit ist das sozi-
ale Megaproblem der Europä-
ischen Union. Von 2008 bis 2013
nahm die Arbeitslosigkeit in der EU
um 56 % auf 24,5 Millionen Arbeits-
lose zu. In sieben der 28 EU-Staaten
stieg sie um mehr als das Doppelte
an. Am stärksten in Zypern und in
Griechenland mit Zunahmen von
360 bzw. 243 %. In Spanien (+84 %
seit 2008) kamen fast 3,5 Millionen
Menschen ohne Arbeit hinzu, in Ita-
lien fast 1,5 Millionen. Alleine im kri-
sengeschüttelten Griechenland mit
knapp elf Millionen Einwohnern sind
1,3 Millionen Menschen ohne Arbeit
– um fast 950.000 Personen mehr
als im Jahr 2008.
Würden die Arbeitslosen in der EU
einen eigenen Staat bilden, so wären
sie mit einer „Einwohnerzahl“ von
24,5 Millionen der siebtgrößte Mit-
gliedsstaat. Bevölkerungsmäßig wür-
de sich der „Staat der Arbeitslosen“
zwischen Polen (38 Millionen) und
Rumänien (20 Millionen) einordnen.
Katastrophal: In Griechenland und
Spanien ist fast die Hälfte der jungen
Erwachsenen ohne Arbeit. Auch in
Italien und Kroatien ist jeweils fast ein
Drittel der Jugendlichen arbeitslos.
Foto:Karin Jähne/Fotolia.com
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von Arbeitslosigkeit. In Innsbruck-Stadt und
Innsbruck-Land stieg die Zahl der Arbeitslo-
sen um 47 % (+2.481 Personen) und in Kuf-
stein um 41 % (+801 Personen). Zusammen
machen beide Regionen mehr als zwei Drittel
der Gesamtzunahme der Arbeitslosigkeit in
Tirol aus. In Lienz stieg die Arbeitslosigkeit
um „lediglich“ 7 % an, in Reutte um 16 %.
Ältere als Verlierer.
Besonders stark be-
troffen waren die Älteren am Arbeitsmarkt.
Die Zahl der Arbeitslosen im Alter 50+ nahm
von 2008 bis 2013 um ganze 1.790 Personen
bzw. um 61 % zu! Die Gruppe der Über-
50Jährigen war für mehr als ein Drittel der
Gesamtsteigerung der Arbeitslosigkeit inTirol
verantwortlich. In Osttirol war die gesamte
Zunahme der Arbeitslosigkeit ausschließlich
auf die Personen 50+ zurückzuführen.
Einerseits hat dies mit geänderten gesetz-
lichen Rahmenbedingungen zu tun, wie etwa
dem erschwerten Zugang zur Invaliditätspensi-
on. Andererseits finden Ältere beimVerlust des
Arbeitsplatzes kaum noch in den Arbeitsmarkt
zurück. Kommen gesundheitliche Probleme
hinzu, gibt es fast keine Chance, wieder eine
Beschäftigung zu finden. So sind diese drama-
tischen Zunahmen – leider – zu erklären.
In der Region Innsbruck und im Bezirk
Kufstein nahm die Zahl an Arbeitslosen der
Gruppe 50+ um jeweils 77 % zu! Zusammen
machten die zusätzlichen Arbeitslosen 50+ in
beiden Regionen mehr als die Hälfte der ge-
samten Zunahme in Tirol aus.
Dringend ist ein Gegensteuern notwendig.
Es braucht auch einen Kulturwandel, der Äl-
teren am Arbeitsmarkt wieder zu Chancen
verhilft (siehe Bericht unten).
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