Tiroler Arbeiterzeitung - page 5

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THEMA:
PATIENT & RECHT
Nr. 69, Dezember 2014
Teilurteil und weitere Akontozahlung.
Seit August steht fest, dass die Tilak für Schadenersatz und Folgeschäden dem
Grunde nach haftet. Über die Summe wird 2015 entschieden. Aber erst jetzt leistete die Tilak ein zweites Akonto.
S
ieben lange Jahre. Man mag sich
gar nicht vorstellen, welche kör-
perlichen und emotionalen Stra-
pazen Nadinas Eltern täglich auf sich neh-
men. Und schon gar nicht, was das kleine
Mädchen alles ertragen musste seit jener
Leistenbruch-Operation an der Innsbru-
cker Kinderklinik am 4. Jänner 2008,
durch die das Leben der Familie zur Tra-
gödie wurde.
Zu einem oder mehreren – im Hinblick
auf die vom Gericht festgestellten Doku-
mentationsmängel – nicht genauer fest-
stellbaren Zeitpunkten erlitt das damals
sechs Wochen alte Baby imOperationssaal
oder in der postoperativen Phase einen
Sauerstoffmangel, der einen Hirnschaden
verursachte. Mit schwersten Folgen: Nadi-
na kann weder gehen, noch frei sitzen, we-
der sprechen, noch zielgerichtet handeln.
Sehleistung und Motorik sind schwerst
beeinträchtigt, dazu kommen noch epi-
leptische Anfälle und die Gewissheit, dass
sie immer pflegebedürftig sein wird.
AK Rechtsschutz.
Der Fall erschüt-
tert die Tiroler seit Jahren. Auch deshalb,
weil sich sowohl der Strafprozess, als auch
das Zivilverfahren gegen die Tilak in die
Länge ziehen. Seit 2010 unterstützt die
AK Tirol die Familie im zermürbenden
Rechtsstreit. Sie gewährte Rechtsschutz-
AK Unterstützung.
2010 wurde Anwalt Dr. Thomas Juen (links) mit der Vertretung für Nadina beauftragt. Ihre Eltern
kämpfen seit Jahren um Antworten.
Etappensieg für Nadina
und ihre leidgeprüften Eltern
Amels Familie
spendet an UNICEF
12.000 Euro für Kinder.
„Ich lasse mir mein Kind nicht abkaufen“, hatte Amels Mutter von
Anfang an betont. Geld aus einem Versäumungsurteil kommt jetzt Kindern in Not zugute.
S
ehr geehrte Familie Dedic, ich
weiß, welch großer Schmerz
für Sie mit dieser Spende ver-
bunden ist! Umso inniger danke ich
Ihnen dafür, dass Sie Ihren großen
Verlust zu einer Hilfe für Kinder ma-
chen.“
Vor wenigen Wochen erhielt die
Tiroler Familie Dedic einen Brief von
UNICEF Österreich – und mit diesen
bewegenden Zeilen bedankte sich Di-
rektorin Dr. Gudrun Berger noch ein-
mal persönlich für 12.000 Euro, mit
denen die Spender ärmsten Kindern
ein wenig Wärme schenken wollten.
Das alles ist freilich noch viel berüh-
render, wenn man weiß, dass sie die
Eltern des kleinen Amel sind. Jenes
Dreijährigen, der im April 2010 nach
mehreren Einläufen an einem Multi-
organversagen starb. Auch in diesem
Fall wären die Eltern wohl völlig auf
sich allein gestellt geblieben, wenn ih-
nen die AK Tirol nicht Rechtsschutz
gewährt hätte.
Versäumungsurteil.
Nach Frei-
sprüchen im Strafverfahren und zi-
vilrechtlicher Klage gegen die Tilak
erging letztlich ein sogenanntes Ver-
säumungsurteil, mit dem der Familie
Geld zugesprochen wurde.
„Die Tilak hat sich auf das Verfah-
ren nicht eingelassen, somit wurde das
Versäumungsurteil rechtskräftig“, er-
klärt Anwalt Dr. Juen, der auch Fami-
lie Dedic im Auftrag der Arbeiterkam-
mer vertritt. „Für die Familie bedeutet
dies allerdings die bittere Erkenntnis,
dass die Ursachen des tragischen Todes
wohl nie vollständig aufgeklärt werden
können.“
Von dem mit dem Versäumungs-
urteil zugesprochenen Betrag wollten
Amels Eltern nichts behalten, nicht
einmal die Kosten für sein Begräbnis.
Geld forderten sie von Anfang keines.
Denn wie hatte Amels Mutter doch
einmal vor den versammelten Tiro-
ler Journalisten betont: „Ich lasse mir
mein Kind nicht abkaufen.“
Daher hat die Familie den nach
Abzug aller Verfahrenskosten verblie-
benen Betrag in Höhe von 12.000
Euro gespendet, um anderen Kindern
zu helfen. Für 251 Kinder in den Kri-
sengebieten dieser Welt bedeutet die
Spende wärmende Decken und Win-
terkleidung.
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KOMMENTIERT
Foto:AKTirol
Eine Frage
der Ehre
W
eihnachten, das Fest der
Kinder, steht vor der Tür.
Und doch ist es für viele mit Kum-
mer und Leid verbunden. Auch für
die Familien von Nadina und Amel
wird es vor allem eine neue emoti-
onale Belastungsprobe bedeuten.
Belastungen hatten sie in den
letzten Jahren wahrlich genug.
Kaum waren ihre Kinder geboren,
waren sie schon mit unfassbaren
Tragödien konfrontiert. Aber noch
viel unfassbarer ist, wie lange sie
damit allein gelassen wurden. In
ihrem harten Alltag, mit vielen un-
geklärten Fragen und enormen
Kosten.
Eigentlich ungeheuerlich, dass
es ihnen nur mit Rechtsschutz der
AK möglich war, das Geschehene
zu hinterfragen. Weil niemand von
sich aus Verantwortung überneh-
men wollte.
!
Siehe auch
Freude bei UNICEF-Mitarbeitern.
Mit der Spende von Amels Eltern können 251
Kinder mit Decken und Winterkleidung versorgt werden.
N
adina wird am 24. November 2007 geboren.
Am 4. Jänner 2008 soll der Säugling wegen
eines Leistenbruchs in der Innsbrucker Kinderchi-
rurgie operiert werden. Doch dabei kommt es zu
massiven Komplikationen.
Für die Eltern beginnt ein Spießrutenlauf: Be-
handlungsfehler werden von der Tilak negiert, es
heißt, dass Nadina an einer angeblich angeborenen
Stoffwechselerkrankung leide. Hilfe für die Familie
kommt weder von der Patientenanwaltschaft, noch
von der Schiedsstelle in Arzthaftpflichtfragen. Im
Schiedsverfahren ist trotz vieler offener Fragen von
einem angeblich „schicksalhaften Verlauf“ die Rede.
2010 gewährt die AK Tirol Rechtsschutz, der
Arzthaftungsspezialist RA Dr. Thomas Juen wird
mit der Vertretung für Nadina beauftragt. Erst als
die Entschädigungskommission des Patientenent-
schädigungsfonds unter Beiziehung von Dr. Juen
ein weiteres umfangreiches anästhesiologisches
Gutachten in Auftrag gibt, kommt Bewegung in den
tragischen Fall.
Dennoch muss bis zum mittlerweile ergangenen
rechtskräftigen Teil- bzw. Zwischenurteil jahrelang
gegen die Tilak prozessiert werden.
Jetzt steht fest,
• dass Nadina bis zur OP gesund war,
• dass im Zuge der Aufklärung auf einen geplanten
„Off-Label-Use“ von bestimmten Medikamenten
hätte hingewiesen werden müssen,
• dass die Eltern dem Eingriff nicht zugestimmt hät-
ten, wenn sie informiert worden wären, dass das
Baby in der Aufwachphase über Stunden ohne
durchgängige ärztliche Überwachung blieb.
• Das Teil- und Zwischenurteil bestätigt zudem zahl-
reiche Dokumentationsmängel, und dass diverse
Maßnahmen erst (viel) zu spät oder gar nicht ge-
setzt wurden.
Suche nach der Wahrheit
CHRONOLOGIE
AK Präsident Erwin Zangerl
Foto:UNICEF
deckung, und der Arzthaftungsexperte
RA Dr. Thomas Juen wurde mit der
Vertretung für Nadina beauftragt (siehe
Chronologie).
Nun steht fest, dass die Kleine vor der
Operation gesund war und ihre schwe-
ren Gehirnschäden auf Fehler in der Be-
handlung, aber auch bei der Aufklärung
der Eltern zurückzuführen sind. „Im
Zivilprozess liegt ein rechtskräftiges Teil-
und Zwischenurteil vom August vor“,
berichtet AK Präsident Erwin Zangerl.
„Das ist ein wesentlicher Etappensieg.
Denn es bestätigt, dass die Klage ge-
gen die Tilak über 368.000 Euro dem
Grunde nach zu Recht besteht, und dass
die Tilak zudem für Nadinas künftige
Schäden aus dem Eingriff haften muss.“
Hinhaltetaktik.
Dennoch tröpfelt
das dringend benötigte Geld nur zöger-
lich. 2011 hatten die Eltern die bislang
einzige Akontozahlung über 70.000
Euro erhalten. Dieses Geld ist längst
aufgebraucht, und täglich sind weitere
Zahlungen fällig.
Auch nach Rechtskraft des Teil- und
Zwischenurteils verhallte Dr. Juens Auf-
forderung zu einem weiteren Akonto
über 200.000 Euro lange ungehört.
Und mit einem abschließenden Urteil
zu den Kosten ist erst im Laufe des Jah-
res 2015 zu rechnen.
Weihnachtswunder?
Dann plötz-
lich, mit 25. November, erhielt er die
Mitteilung, dass die Tilak weitere 50.000
Euro für Schmerzensgeld und Pflege-
aufwand bezahlt – „ohne Anerkenntnis
einer Verpflichtung“, wie es darin heißt.
„Mittlerweile ist wohl allen klar, dass
eine weitere Akontozahlung absolut
gerechtfertigt war“, so Juen. Ob dieses
Geld bis zur Entscheidung des Gerichts
ausreicht, wird sich zeigen. AK Präsi-
dent Zangerl: „Gemeinsam werden wir
ein Auge darauf haben, dass die schwer
geprüfte Familie zumindest keine finan-
ziellen Ängste mehr ausstehen muss.“
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