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A

RBEIT

&

EU-RECHT

2

Nr. 91, Dezember 2016

Nein zu Lohndumping in der EU

Die Schattenseiten

Entsenderichtlinie

U

nfairer Wettbewerb und Sozialdumping werden durch

die EU-Dienstleistungsfreiheit geradezu gefördert. Das

schadet demArbeitsmarkt. Ein Beispiel: Firmen suchen sich

einen Subunternehmer in der EU, der billige Arbeitskräfte

aus einemNicht-EU-Land für Österreich akquiriert. Diese

werden demAMS zwar gemeldet und müssten KV-Löhne

erhalten, die Realität sieht aber meist anders aus. Bis der

Bescheid vorliegt, sind die Beschäftigten längst weiterge-

zogen. Von der EU fordert die AK deshalb ein Bekenntnis

gegen Sozialdumping in der Entsenderichtlinie und vom

Bund eine ganze Reihe von Maßnahmen.

M

it der EU-Entsenderichtlinie sollen Dienstleistungen

am Europäischen Binnenmarkt geregelt werden. Sie

enthält Vorschriften, wie arbeitsrechtliche Bestimmungen

der Mitgliedsstaaten auf die Arbeitsverhältnisse von Beschäf-

tigten anzuwenden sind, wenn diese in einemMitgliedsstaat

ansässig sind und in einen anderen entsandt werden, um

Dienstleistungen zu erbringen. Vor allem soll damit die

gehaltsmäßige Gleichstellung mit anderen Beschäftigten im

jeweiligen Zielland gewährleistet werden. Bei der Sozialver-

sicherung gelten für entsandte Arbeitnehmer dennoch

24 Monate lang die Bestimmungen ihres Herkunftslandes.

Foto: Sergii Figurnyi/Fotolia.com

Foto: djama/Fotolia.com

Aktion scharf gegen Ausbeutung

Unmenschlich.

AK Präsident Zangerl: „Die Entsenderichtlinie ist ebenso zu hinterfragen

wie die Absiedelung von Betrieben ins Ausland samt Import von billigen Arbeitskräften.“

UNTER DRUCK

FAKTEN

Beinharte

Verdrängung

Ausbeutung.

Wenn ausländische Lkw-Lenker zu Billiglöhnen fahren, wirkt sich das massiv

auf die heimischen Beschäftigten aus. Die AK Tirol fordert von der EU Gegenstrategien.

E

s klingt schon stark nach

modernem Sklaven­

tum, was sich in ei­

nigen Branchen so ab­

spielt. Seien es die Arbeits- und

Lebensbedingungen der Ernte­

helfer oder die der rumänischen

Forstarbeiter in den Wäldern der

Bundesforste (siehe Beitrag un­

ten). Und auch im Personen- und

Güterverkehr sorgen Dumping­

preise unter dem Motto „Ab 5

Euro per Fernbus durch Europa“ für

beinharten Wettbewerb, extremen

Lohndruck und menschenunwür­

dige Arbeitsbedingungen. Europa­

weit stehen dadurch 11 Millionen

Beschäftigte unter Druck.

Immer öfter werden über Subun­

ternehmen in Billiglohnländern dor­

tige Arbeitskräfte engagiert – und

zwar zu den dort üblichen Löhnen.

Als Lkw-Lenker arbeiten sie meist

unter Bedingungen, die an den

Beginn des vorigen Jahrhunderts

erinnern:

60-Stunden-Wochen,

unbezahlte Überstunden, wochen­

langes Campieren im Lkw für einen

Monatslohn, der kaum zum Leben

reicht. Während in Österreich rund

8,80 Euro pro Stunde fällig wären,

sitzen sie z. B. für 2,20 Euro wie

etwa in Bulgarien am Steuer. Und

das hat natürlich Auswirkungen für

die heimischen Lkw-Lenker.

Regulierungsbedarf.

Die Ursa­

chen für diese Missstände liegen

auf der Hand. Eine aktuelle Stu­

die des Instituts FORBA zeigt die

Lücken im EU-Recht auf: So wird

in der Entsenderichtlinie die hohe

Mobilität der Beschäftigten im

Verkehrsbereich zu wenig berück­

sichtigt. Hinzu kommen rechtliche

Schlupflöcher, ein hohes Lohnge­

fälle zwischen den EU-Ländern

und fehlende Kontrollen.

„Die Beschäftigten in der Ver­

kehrsbranche sind die Leidtra­

genden einer grenzenlosen Libe­

ralisierung, bei der man auf die

Harmonisierung der Sozialsysteme

vergessen hat“, kritisiert AK Präsi­

dent Erwin Zangerl. Deshalb for­

dert die AK mit Gewerkschaftern

aus Österreich und Europa auf EU-

Ebene endlich Gegenstrategien zum

massiven Lohn- und Sozialdumping

und unterstützt die EU-weite

Bürgerinitiative „Fair Transport“.

Forderungen.

• Gleicher Lohn für gleiche Arbeit

muss überall in Europa mit Min­

destlöhnen, Kontrollen und Stra­

fen gesichert sein.

• Lenk- und Ruhezeiten im Lkw-

oder Busverkehr sind EU-weit

geregelt, werden aber oft nicht ein­

gehalten. Es braucht effizientere

Kontrollen.

• Einheitliche Ausbildungs- und

Qualifizierungsstandards.

• Im Personennahverkehr müssen

Sozial- und Qualitätskriterien bei

jeder Ausschreibung von öffent­

lichen Bus-Verkehrsbestellungen

Standard werden. Eine EU-Ver­

ordnung erlaubt das längst. Die

Direktvergabe im Personennah­

verkehr muss gesichert sein.

• Verbesserungen der Arbeitsbedin­

gungen und keine weitere Libera­

lisierung im Verkehrssektor ohne

soziale Harmonisierung auf ho­

hem Niveau.

Mehr auf

www.fairtransporteurope.eu

D

er harteWettbewerb imVerkehr

hat in Österreich bereits massive

Auswirkungen für die Beschäftigten in

verschiedensten Bereichen.

Bei den Bussen im öffentlichen Nah-

verkehr etwa vernichtet der scharfe

Preisdruck tausende bisher fair bezahlte

Arbeitsplätze, weil Fahrer durch Beschäf-

tigte ersetzt werden, die die gleiche Arbeit

billiger machen.

Bus.

Ursache sind hier einmal mehr die

Personalkosten, die im Busverkehr etwa

50 % der Gesamtkosten ausmachen. Des-

halb versuchen die Unternehmen, diese

Kosten gezielt zu senken. Sie gewähren

einerseits weniger betriebliche Sozialleis­

tungen und stellen andererseits junge

Fahrer ein, die zwar weniger Erfahrung

mitbringen, dafür aber billiger sind.Wird

eine Strecke irgendwann von einem

neuen, billigeren Anbieter übernommen,

finden die Fahrer dort vielleicht wieder

einen Arbeitsplatz, dann aber oft zu

wesentlich schlechteren Bedingungen.

Über denWolken.

Stewardess war

früher einmal ein Traumberuf junger

Mädchen. Inzwischen sorgt der massive

Wettbewerbsdruck auch in der Luftfahrt

für widrigste soziale und wirtschaft-

liche Bedingungen: Flugbegleite-

rinnen und Flugbegleiter werden

oft nur noch befristet eingestellt

– zu einemAnfangsgehalt von

1.200 bis 1.500 Euro brutto.

Fluggesellschaften stationieren

ihre Belegschaft nicht mehr in

Österreich, sondern beispiels-

weise in der Slowakei, weil

sie dort weniger arbeits- und sozial-

rechtliche Standards erfüllen müssen.

Alles auf Schiene?

Bei der Bahn

wiederum sorgt der Wettbewerbsdruck

für Arbeitsverdichtung und vor allem

auch Sicherheitsdefizite. So gibt es für

Lokführer im grenzüberschreitenden

Verkehr keine Kontrollen der Ruhezeiten.

Catering-Personal aus Ungarn arbeitet in

österreichischen Zügen zu ungarischen

Bedingungen. Ruhezeiten werden dras­

tisch überschritten.

Foto

:

NikolaiSorokin/Fotolia.com

D

ramatisch ist die Situation im

Tourismus. Kaum ein Einheimischer

reißt sich noch um eine Stelle in der

Gastronomie. Besonders Köche sind

schwer zu finden. „Hier bekommen die

Betriebe die Rechnung für die mangelnde

Wertschätzung präsentiert, die sie ihren

Mitarbeitern entgegengebracht haben“,

betont AK Präsident Erwin Zangerl. „Die

Bezahlung ist viel zu gering, wenn der KV-

Lohn für einen Koch bei nur 1.490 Euro

brutto liegt, 1.420 Euro verdient ein

Abwäscher.“ Dazu kommt, dass

Überstunden oft nicht be-

zahlt werden, und dass

sich Saisonarbeit

sehr negativ

auf die spä-

tere Pension

auswirkt.

S

ie erinnern sich an die er­

schütternden Bilder von

rumänischen Arbeitern, die

das Wattental im Auftrag

der Bundesforste mit einem Pferd

durchforsteten und in einem alten

Wohnwagen hausten? Offenbar wa­

ren die Männer über die rumänische

Tochter einer Vorarlberger Firma

beschäftigt. Laut AK Recherchen

führt dieser Betrieb in mehreren

Bundesländern Waldarbeiten durch,

was zu einem starken Verdrän­

gungswettbewerb in den jeweiligen

Regionen geführt hat. Die Rumänen

werden sehr schlecht bezahlt. Auch

Sicherheitsbestimmungen würden

nicht eingehalten, hieß es.

Doch solche Praktiken haben Me­

thode: Wenn heimische Firmen im

EU-Ausland gezielt Billigarbeits­

kräfte rekrutieren, die nicht selten

am Arbeitsplatz hausen – in Wohn­

containern auf Feldern, Baustellen

oder im Lieferwagen. Wenn

sie pro Tag offiziell 9

Stunden arbeiten und

sich für ihren

Hungerlohn in Wahrheit 14 Stunden

abrackern. Oder in Österreich offizi­

ell nur 14 Tage beschäftigt sind und

den Rest des Monats in Ländern mit

billigen Lohn- und Sozialkosten,

wie Slowenien oder Rumänien.

AK Präsident Erwin Zangerl for­

dert eine „Aktion scharf“ gegen

Lohnsklaverei, Ausbeutung, So­

zialdumping, Schwarzarbeit und

Schattenwirtschaft. „Finanzpolizei,

Arbeitsinspektorat, AMS, Kran­

kenkasse und Bezirkshauptmann­

schaften müssen rigoros kontrol­

lieren und die Hintermänner dieses

Menschenhandels enttarnen.“

Immerhin stieg die Zahl der

„entsendeten Dienstnehmer“ seit

der Öffnung des Arbeitsmarktes

2011 auf österreichweit 150.000,

heuer dürften es 180.000 wer­

den! Hauptleidtragende sind die

heimischen Arbeitnehmer und Be­

triebe, die anständig entlohnen.

Wenig Geld für

Saisonarbeit

TOURISMUS

Foto:LaCozza/Fotolia.com