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Ö

sterreich zählt nicht grade

zu jenen Ländern, in de-

nen Politik oder Medien

die heimische Wirtschaft

permanent hochleben lassen. Noch

immer geistert das Prädikat „abge-

sandelt“ durch die Republik und

lässt einige Wirtschaftsweisen nach

Alternativen suchen, um den Kon-

junkturmotor auf Touren zu brin-

gen. Und was läge näher, als auf die

USA zu blicken, die sich schein-

bar gerade anschicken, Europa zu

überholen. Die Arbeiter dort wären

flexibler, Gewerkschaften, Normen

oder Naturschutz weit weniger

Hemmschuh als hierzulande und

die Vollbeschäftigung zum Grei-

fen nahe. Doch die billige Polemik,

selbst wenn sie von „Wirtschafts-

fachleuten“ stammt, hält einer

näheren Betrachtung nicht Stand.

Denn Aufschwung und Wachstum

sind teuer erkauft, und die Kosten

dafür tragen die Arbeitnehmer.

Veränderte Verhältnisse.

Nach

außen hin mag es so aussehen, als

hätten die USA die Folgen der Kri-

se von 2008 überstanden. In Wirk-

lichkeit wurde sie von einer „Yes

we can!“-Kampagne überdeckt.

So entstanden nach der Finanzkri-

se vor allem kurzfristige Jobs mit

Niedriglöhnen, während jene mit

mittleren Einkommen abnahmen.

Diese Situation mit niedrigen Löh-

nen und kurzfristigen Arbeitsver-

hältnissen führt dazu, dass Arbeit-

nehmer immer häufiger mehr als

einen Job annehmen müssen, um

über die Runden zu kommen. Was

für die Arbeitsmarktstatistik von

Vorteil ist, wird für den Einzelnen

zum täglichen Kampf, um nicht in

die Armut abzurutschen. Denn die

Foto: Aleksandar Mijatovic/Fotolia.com

W

IRTSCHAFT

&

S

OZIALES

8

Nr. 91, Dezember 2016

I

m Zuge einer Beratung stieß die AK

Tirol auf eine Vereinbarung über die

Betreuung in einem Pflegeheim der

Innsbrucker Sozialen Dienste (ISD).

Diese Betreuung sollte in zwei Verträgen

geregelt werden. Zunächst wurde ein

„vorläufiger Heimvertrag“ abgeschlos-

sen, in dem sich der Heimbewohner ver-

pflichtete, einen Mindestsicherungsan-

trag zu stellen. In der Folge, spätestens

binnen 28 Tagen, sollte dieser durch

den eigentlichen Heimvertrag ersetzt

werden. Das Heim verlangte zudem von

den Angehörigen der zu betreuenden

Person eine Haftungserklärung, wonach

diese für alle Verbindlichkeiten bürgen

sollten.

Der geprüfte Zwischenvertrag hat

aber einen unangenehmen Beige-

schmack für die Betroffenen:

Es wird zwar eine vorläufige Aufnahme

und Betreuung im Pflegeheim ge-

währt, aber über das weitere Vorgehen

– den Abschluss eines unbefristeten

Vertrages oder aber die Verpflichtung

zum Auszug aus dem Heim – wird die

Familie im Unklaren gelassen.

Hinzu kommt für die in der Haf-

tungsklausel genannten Personen

eine schwer abschätzbare, finanzielle

Belastung durch die Übernahme einer

umfassenden Haftung für sämtliche

Zahlungspflichten des Heimbewohners.

Schließlich ist auch das Verhältnis der

Haftungsklausel zum Tiroler Min-

destsicherungsgesetz unklar, wenn

Kinder der pflegebedürftigen Person

aufgefordert werden, diese zu unter-

schreiben. In diesem Fall verschleiert

die Klausel nämlich die geltenden

Bestimmungen des Tiroler Min-

destsicherungsgesetzes hinsichtlich

der Einschränkungen beim Kinder-

Regress, bzw. kann sie einen Versuch

einer vertraglichen Umgehung des

Landesgesetzes darstellen.

Nachhaken.

Oft befinden sich die be-

troffenen pflegebedürftigen Personen so-

wie deren Angehörige in einer emotional

und häufig auch finanziell belastenden

Situation, wenn es um die Unterbringung

und Betreuung in einem Pflegeheim

geht. Zudem ist für viele Personen eine

Heimbetreuung nur durch Unterstützung

gemäß dem Tiroler Mindestsicherungs-

gesetz möglich. Unter diesem Druck wird

oft kein anderer Ausweg gesehen, als

einen solchen Vertrag zu unterschreiben.

Schließlich ist man froh, überhaupt

einen adäquaten Heimplatz gefunden zu

haben. Umso wichtiger ist eine rechtlich

transparente, berechenbare und faire

Vertragsgestaltung, die die AK Tirol nun

von den ISD einfordert.

Betroffenen Personen ist zu raten, sich

bei konkreten Fragen zu Heimverträgen

an den jeweiligen Heimträger zu wenden

oder eine Rechtsberatung bei den AK

Konsumentenschützern in Anspruch zu

nehmen.

Nicht alles Gold, was glänzt

FORDERUNG

PFLEGE

Heim-Verträge

fair gestalten

Arbeitslosenquote: aktuell 8,6 %

Absicherung läuft nicht rein über den

Arbeitgeber, sondern erfolgt entweder

über Pflichtbeiträge des Arbeitnehmers

für Arbeitslosen-, Renten- bzw. Kranken-

kassen, über freiwillige Beiträge oder

über den Staat.

Die Hire-&-Fire-Methode ist unüblich:

Kündigungsschutz und andere Beschäf-

tigungsabsicherungen wie in Österreich

sind in den USA nicht ausgeprägt.

ImGegensatz zu den

USA werden in Öster-

reich Rechte und Interessen der Arbeit-

nehmer durch starke Gewerkschaften

und Institutionen wie die Arbeiterkam-

mern geschützt bzw. vertreten.

Während die Sozialsysteme in Öster­

reich gut ausgebaut sind, ist das Sozial-

system in den USA überholt. Die soziale

Absicherung wurde hier fast vollständig

auf den Arbeitnehmer abgewälzt.

Arbeitslosenquote: aktuell 4,9 %; Grund

für die niedrige Quote sind u. a. die

zahlreichen (meist kurzfristigen) Jobs im

Niedriglohnsektor und eine große Zahl

an Amerikanern, die nicht in der Statistik

berücksichtig werden, da sie sich um

keine Arbeit mehr bemühen.

Absicherung der Arbeitnehmer meist

über den Arbeitgeber: Jobverlust heißt

oft Verlust der Krankenversicherung;

die Altersvorsorge wird nur von größe-

ren Unternehmen

übernommen, bei

kleinen und mittleren Betrieben ist der

Arbeitnehmer selbst verantwortlich.

Hire-&-Fire-Methode: schnell einstellen,

schnell feuern. Auch das nötigt Arbeit-

nehmer oft zu mehreren Jobs.

Schwache Gewerkschaften: Mittlerweile

herrscht Misstrauen gegenüber Interes-

senvertretungen – bei Problemen sind

Arbeitnehmer auf sich allein gestellt.

Transparenz.

Die AK Tirol fordert die ISD

auf, Verträge berechenbar zu gestalten.

Analyse.

Ein gelobtes Land, das zeigt, wie Wirtschaft funktioniert: So preisen einige

heimische Experten die USA. Doch die Kehrseite der Medaille sieht anders aus.

Arbeitsmarkt.

Wieviel USA braucht Österreich? Die Schattenseiten der Situation in den USA werden gerne ausgespart.

Foto: Jonathan Stutz/Fotolia.com

Foto: vege/Fotolia.com

STATUS ÖSTERREICH

STATUS USA

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520

M

it der neuen Verordnung zum

Baulärm legt das Land einen

Bauchfleck hin: Waren bisher konkrete

Lärmmessungen vor Ort erforderlich, um

die Qualität von Baulärm zu bestimmen, so

wurden diese Messungen nun abge-

schafft. Nun gelten lediglich willkürliche

Abstände zur Lärmquelle.Wie groß dieser

Abstand sein muss, liegt u. a. an den neu

festgelegten Immissionsrichtwerten. Doch

anstelle die Grenzen für die Lärmbelastung

zu senken, wurden diese angehoben! So

galten bisher Grenzwerte von 50 Dezibel

(dB) amTag und 40 dB in der Nacht. Nun

liegen dieseWerte bei 60 Db (Tag) bzw.

50 dB (Nacht), also um 10 dB höher.

Rein subjektiv bedeutet dies eine

Verdoppelung der Lautstärke. Durch die

Einführung von Mindestabständen zur

Lärmquelle wird es für Betroffene auch

unmöglich, rechtlich gegen eine übermä-

ßige Lärmbelastung vorzugehen, sofern

der geforderte Abstand eingehalten wird.

Für AK Präsident Erwin Zangerl ist die neue

Baulärm-Verordnung ein völliger Fehltritt:

„Was vom zuständigen Landesrat Tratter

als Schutz vor Baulärm deklariert wird,

ist inWirklichkeit das Gegenteil.Was soll

man von der Einführung eines lärmarmen

Baubetriebs halten, wenn gleichzeitig die

Lärmgrenze nach oben

revidiert wird?“ Kein Verständnis

zeigt Zangerl auch für die Vorverlegung der

Tagesstunden von 7 auf 6 Uhr morgens.

Damit ist ab 1. Jänner 2017 Baulärm

bereits ab 6 Uhr früh erlaubt. „Ausgerech-

net der Arbeitslandesrat sorgt dafür, dass

die Beschäftigten am Bau eine Stunde

früher beginnen müssen und dass es den

Baustellenlärm für die Arbeitnehmerfami-

lien schon früh morgens gibt“, ärgert sich

Zangerl. Die Tiroler Arbeiterkammer hat im

Vorfeld eine umfangreiche Stellungnahme

abgegeben und auf die

Schwachpunkte hingewie-

sen. „Wir haben detailliert ge-

zeigt, wo die Probleme liegen. Die

Argumentationslinie des Landes

strotzt vor Fadenscheinigkeiten und

Allgemeinplätzen. Man muss schon

ein großer Optimist oder naiv sein,

um zu glauben, dass hier zum Schutz des

Bürgers gehandelt wurde“, so Zangerl.

Schere zwischen Arm und Reich

geht weiter auf. Gut bezahlte Jobs

außerhalb von Führungsetagen

werden knapper, Rücklagen zu bil-

den oder Schulden zu tilgen wird

immer schwieriger. Auch die der-

zeit rund 92 MillionenAmerikaner,

die sich aus Perspektivenlosigkeit

um keine Arbeit mehr bemühen,

werden ausgeklammert, um die

Statistik nicht zu belasten.

Und eine Trendwende ist nicht

in Sicht, wie eine aktuelle Studie

der Harvard Business School zeigt.

Denn seit 1999 sinken demnach in

den USA nicht nur Stellenwachs-

tum, arbeitende Bevölkerung und

mittleres

Haushaltseinkommen,

sondern auch die Arbeitsprodukti-

vität geht gegen Null.

Risiko Arbeitslosigkeit.

Wäh-

rend in Österreich zahlreiche

Systeme zum Schutz von Arbeit-

nehmern greifen, ist dies in den

USA nicht der Fall. Dort spielt

der Arbeitgeber bei Kranken- oder

Pensionsversicherung eine ent-

scheidende Rolle. Der Verlust des

Arbeitsplatzes hat so oft den Ver-

lust dieser Leistungen zur Folge.

Zudem können soziale Absiche-

rungen nur entsprechend große

Betriebe anbieten. Wer für kleine

oder mittlere Unternehmen arbei-

tet, bleibt sich selbst überlassen.

Das in den 1980er Jahren eta-

blierte neoliberale Wirtschaftssys­

tem führte auch zur Aushöhlung

der Gewerkschaften, die sich für

die Rechte der Arbeitnehmer ein-

setzen sollten. Mittlerweile ist das

Misstrauen in solche Vertretungen

groß: Dies wirkt sich nicht nur auf

Lohnverhandlungen aus, sondern

bedingt auch die „Hire and Fire“-

Mentalität, die zur „flexiblen“ Ar-

beitseinstellung des Amerikaners

führt. In den meisten Fällen ist es

jedoch die Perspektivenlosigkeit,

die Arbeitnehmer zwingt, Umzüge

auf sich zu nehmen, in der Hoff-

nung, doch noch irgendwo ein

Stück gelobtes Land zu ergattern.

Foto:Tom Wang/Fotolia.com

BAULÄRM-VERORDNUNG

DirekterAngriff auf die Bürger