KAMPF GEGEN SCHWARZE SCHAFE
Stressgeladenes und anspruchsvolles Umfeld
D
ass die Arbeitsbedingungen in
touristischen Berufen oft schwierig
sind und der Druck groß, spiegelt auch
eine Umfrage der Dienstleistungsge-
werkschaft vida aus dem Jahr 2016
wider. Zahlreiche strukturelle Probleme
werden dadurch aufzeigt:
•
Fast die Hälfte der Befragten (45 %)
gibt an, unter den aktuellen Arbeitsbe-
dingungen den Beruf nicht nochmals
wählen zu wollen.
•
47 % stehen im Schnitt 3 bis 4 Sonn-
tage pro Monat im Dienst.
•
20 % geben an, dass sich der Dienstplan
„oft“ nach Bekanntgabe wieder ändert.
•
Mehr als ein Drittel leistet zwei oder
mehr Extradienste pro Monat.
ARBEITSBEDINGUNGEN
7
Nr. 93, Februar 2017
Ausgelagerte Kosten
in Millionenhöhe
Beispiel:
Im Oktober 2016 waren nach Auskunft
des Sozialministeriums
11.195 Arbeits-
lose
aus den Branchen Hotellerie und
Gastronomie als arbeitslos vorgemerkt,
8.484 davon mit Einstellungszusage
,
also Überbrücker der Zwischensaison. Im
November waren es
12.539 Personen,
9.942 davon mit Einstellungszusage
.
Betrachtet man allein die Arbeitslosenver-
sicherung, erhält man konkrete Summen
in Millionenhöhe, die an die Versicher-
tengemeinschaft ausgelagert werden, da
der jeweilige Arbeitgeber die Arbeitskraft
nicht weiter beschäftigt, sprich auf „Zwi-
schensaison“ geschickt hat.
Die durchschnittlich ersparte Höhe an
Arbeitsversicherungsleistung für Arbeits-
lose in Gastronomie und Hotellerie in
Tirol lag im vergangenen Jahr
pro Person
und Tag bei 27,90 Euro
, hält das Sozial-
ministerium fest. Somit ergibt sich allein
für die Monate Oktober und November
2016 für Betroffene mit Einstellungs-
zusage eine Summe von knapp
15,7
Millionen Euro
, die an die Versicher-
tengemeinschaft ausgelagert wurde.
Rechnet man auch die Arbeitslosen in der
Hotellerie und Gastronomiebranche in Ti-
rol ohne Einstellungszusage mit, ergeben
sich für diese beiden Monate sogar
19,9
Millionen Euro
.
Rechnet man die Kosten für die Kran-
ken- und Pensionsversicherung sowie den
entstandenen Kaufkraftverlust mit ein,
liegt die Summe umMillionen höher.
725
172
107.000
ahme von 16 %
Tirol: 265 Tage
**
17 % geringfügig beschäftigt
te mehr seit 2008
Tage Versicherungsdauer
*
An- u. Abmeldungen pro Jahr
*
herbergung und Gastronomie im
Jahr 2015 ein Netto-Einkommen
von 10.549 Euro, was einem Mo-
natseinkommen von gerade ein-
mal 753 Euro entspräche. „Im
Vergleich zum an sich bereits
niedrigen Einkommensschnitt in
Tirol von 19.272 Euro liegen die
Tourismuseinkommen nochmals
um 45 Prozent darunter. Und das
ist kein Randphänomen. Immer-
hin befinden sich mehrere zehn-
tausend Personen in dieser Gruppe
der Niedrigverdiener“, so Zangerl.
Saisonalität und
Folgekosten
D
ie schlechte Einkommens-
situation hat hauptsächlich
mit den Standzeiten zwi-
schen den Saisonen zu tun. Nur
etwas mehr als ein Viertel (28 %)
der Beschäftigten in der Beherber-
gung und Gastronomie sind ganz-
jährig in einem Arbeitsverhältnis
(Voll- oder Teilzeit). Gar nur 18
% sind ganzjährig vollzeitbeschäf-
tigt. Während im Schnitt aller
Branchen mehr als zwei Drittel
aller Beschäftigungsverhältnisse
länger als ein Jahr dauern, sind es
in der Gastronomie nur 38 %, in
der Beherbergung nur 23 %. Das
bedeutet, dass der Großteil der Be-
schäftigten in seinem Arbeitsjahr
„Stehzeiten“ hat, die in gemeldeter
Arbeitslosigkeit verbracht werden.
In den Zwischensaisonen über-
nimmt daher oft die Allgemein-
heit die Gehaltskosten in Form
von AMS-Geldern. Damit werden
Unternehmen von der öffentlichen
Hand nichts anderes als subventio-
niert. Die Bilanz des Tourismus in
dieser Hinsicht ist mit hoher Wahr-
scheinlichkeit negativ: Durch die
Saisonarbeit wälzen die Betriebe
pro Jahr zig Millionen Euro auf
die Arbeitslosenversicherung ab.
In diesem Sinn schießt die Allge-
meinheit der Branche Gelder zu.
Tourismus und der
„Fachkräftemangel“
M
it dem Hinweis auf den
„Fachkräftemangel“ soll
Druck auf die Politik aus-
geübt werden. Bei genauerem Hin-
sehen handelt es sich weniger um
einen Mangel, als um Rekrutie-
rungsschwierigkeiten.
Begründen lässt sich dies unter
anderem mit den schwierigen Ar-
beitsbedingungen und dem gerin-
gen Lohnniveau. Dies führt auch
dazu, dass immer weniger Einhei-
mische in den Tourismus wollen.
So waren im Jahr 2015 mehr als
die Hälfte der Beschäftigten (50 %)
Nicht-Österreicher, Tendenz stei-
gend. Mitverantwortlich dafür sind
auch die Beschäftigungsverhält-
nisse: Seit dem Jahr 2008 wuchs
zwar die Beschäftigung um 16 %
(+ 5.725 Beschäftigte), ein Drittel
dieses Wachstums ist jedoch auf
geringfügige Beschäftigungen zu-
rückzuführen.
Ein weiteres Problem für Arbeit-
nehmer stellt die saisonale Arbeits-
losigkeit dar. Nicht nur, dass etwa
im Bezug auf die Arbeitslosenver-
sicherung der Allgemeinheit regel-
mäßig eine Millionenlast aufgebür-
det wird (siehe Beispiel li.), weisen
die Beschäftigten auch sehr geringe
Versicherungsdauern auf (172
Tage/Jahr; Tiroler Durchschnitt:
265 Tage). Dies wirkt sich später
massiv auf die Pensionsansprüche
aus. Mit ein Grund, warum jede 3.
offene Stelle in Tirol aus dem Be-
reich Beherbergung und Gastrono-
mie stammt und warum mehr als
die Hälfte aller beimAMS offenen,
sofort verfügbaren Lehrstellen im
Tourismus zu finden sind.
ls die Spitze des Eisbergs
*2015
* im Jahr 2015/ ** Durchschnitt
niedrige
Kollektivlöhne
schwaches
Einkommensniveau
viele Arbeitsplätze
hohe Wertschöpfung
ichtiger Wirtschaftsfaktor
unattraktive
Arbeitsbedingungen
hohe gesellschaftliche
Folgekosten
keine Branche für
ältere Personen
oße ökologische Belastung
20 %
31 % unter 45 Jahren
der Beschäftigten unter 25,
Foto:adimas
/Fotolia.com•
40 % sagten, dass sich die Arbeit
schlecht bis sehr schlecht mit dem
Privatleben vereinbaren lässt.
Auch die Fachkräfte-Debatte lässt sich so
erklären. Dies stellt auch das Institut für
Höhere Studien zum Thema Fachkräf-
temangel 2016 fest: „ Die medial und in
Unternehmensbefragungen regelmäßig
kolportierten Rekrutierungsprobleme
der Unternehmen sind [...] eher auf
strukturelle Probleme, etwa auf die
schwierigen Arbeitsbedingungen und
das geringe Lohnniveau, zurückzufüh-
ren. Allerdings ist der Prozentsatz der
Arbeitslosen ohne formale Qualifikation
mit deutlich über 50 % sehr hoch.“
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