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J

UNGE

&

L

EHRE

9

Nr. 95, April 2017

Unzufrieden

mit der Praxis

KLARTEXT

Trainingsabende

Mehr Zeit für die Berufsschule

Lehre.

Nach Vorgabe des Bildungsministeriums soll der Unterricht in Berufsschulen

ausgeweitet werden. Die AK begrüßt die Umsetzung dieser langjährigen Forderung.

So funktioniert

die Lehre

A

rbeitsrechtlich betrachtet nimmt

die Lehrlingsausbildung eine

Sonderstellung ein. Es handelt sich bei

Lehrverhältnissen nämlich um Arbeits-

verhältnisse mit Ausbildungscharakter.

Dem pädagogischen Konzept „Learning

by Doing“ folgend, sollen Lehrlinge

während der praktischen Mitarbeit

im Betrieb die Qualifikationen und

Kompetenzen eines Berufes erlernen.

Die genauen Fachinhalte, die vermittelt

werden müssen, sind im sogenannten

Berufsbild (das ist der Lehrplan für die

Betriebe) geregelt.

Arbeiten und Lernen sind bei Lehr-

lingen also keine Gegensätze, sondern

bedingen einander gegenseitig. Da Lehr-

linge keine vollen Arbeitskräfte ersetzen,

sehr wohl aber einen gewissen Beitrag

zum produktiven Betriebserfolg leisten,

erhalten sie einen speziellen Lohn, die

sogenannte Lehrlingsentschädigung.

Diese wächst im Laufe der Lehrzeit je

Lehrjahr kontinuierlich an, da ja die

Arbeitskraft des Lehrlings im Laufe der

Ausbildung immer wertvoller wird.

Umgekehrt freilich korrespondiert die

geringere Entlohnung eines Lehrlings

mit der Ausbildungsverpflichtung des

Betriebes. Der Unternehmer muss dem

Lehrling deswegen weniger zahlen, weil

er für seine Ausbildung ja einen Aufwand

auf sich nimmt: Zeit, Material, Mitar-

beiterressourcen usw. Dieses System

stellt also sicher, dass der Lehrling im

Zuge seiner Ausbildung für den Betrieb

Arbeitsleistungen erbringt, umgekehrt

aber, dass die Ausbildung des Lehrlings

innerhalb der Arbeitszeit erfolgen muss.

Und das gilt eigentlich auch für Friseure.

GUT ZUWISSEN

INFOS

Die „private“ Ausbildung

Friseur-Lehre.

Im Gegensatz zu anderen Lehrberufen müssen die meisten Lehrlinge

im Friseurgewerbe den wichtigsten Teil der Ausbildung in ihrer Freizeit absolvieren:

Das Haareschneiden muss am Abend geübt werden, Geld dafür gibt es oft keines.

D

er Rücklauf einer unter den

Tiroler Friseurlehrlingen durch-

geführten Befragung von 14 % lässt

zumindest grundlegende Tendenzen

ableiten. Demnach finden in 90 %

der Tiroler Friseurbetriebe Trainings-

abende statt, 75 % der Lehrlinge

besuchen diese wöchentlich. In

den allermeisten Fällen sind diese

Trainingsabende verpflichtend vorge-

schrieben oder es wird erwartet,

dass die Lehrlinge daran

teilnehmen. Eine Anrech-

nung auf die wöchentliche

Arbeitszeit erfolgt hingegen

erwartungsgemäß nur in

Ausnahmefällen (15 %).

Diese ausbildungsprak-

tisch und arbeitsrecht-

lich unbefriedigende

Situation wird die

Tiroler AK weiter im

Auge behalten.

Foto: didecs

/Fotolia.com

M

an stelle sich vor: Ein

Kochlehrling

wird

tagsüber im Hotel wäh-

rend der Arbeitszeit mit

Geschirrspülen, Kartoffelschälen,

Salatwaschen und diversen Vor-

bereitungstätigkeiten beschäftigt.

Die eigentliche Ausbildung in den

schwierigeren Kompetenzen erfolgt

außerhalb der Arbeitszeit, wenn er

frei hat – undenkbar!

Oder: Ein Elektriker-Lehrling

verbringt seine Arbeitstage mit dem

Tragen von Kabelrollen und dem

Schremmen von Mauerschlitzen.

Für das Erlernen des Anschließens

und Verdrahtens von Schaltkästen

muss er sich am Wochenende Zeit

nehmen, das wird ihm in der Frei-

zeit beigebracht – ausgeschlossen!

Während in allen Lehrberufen die

Vermittlung der berufsfachlichen

Fertigkeiten im Rahmen des Ar-

beitsalltags möglich ist und möglich

sein muss, wird im Friseurgewerbe

ein Teil, und zwar der wichtigste

Teil, in die überwiegende Verant-

wortung des Lehrlings ausgelagert.

Da das Haareschneiden (immerhin

Kernkompetenz eines Friseurs!) un-

tertags am Kundenkopf nicht ohne

Weiteres geübt werden kann, gibt es

in den allermeisten Tiroler Salons

sogenannte Trainingsabende. Diese

sind – aus gutem Grund – in der Re-

gel verpflichtend. Der Haken dabei:

Die Ausbildung findet in der unbe-

zahlten Freizeit der Lehrlinge statt,

und um die Modelle (Freunde und

Verwandte) muss sich der Lehrling

auch selbst kümmern.

Zur Klarstellung:

Trainings-

abende sind nicht nur sinnvoll,

sondern in den meisten Fällen un-

bedingt notwendig, um eine umfas-

sende Ausbildung von Friseurlehr-

lingen sicher zu stellen. Das sehen

auch die Lehrlinge so. Die Arbei-

terkammer spricht sich deshalb aus-

drücklich für die Durchführung von

Trainingsabenden aus. Selbstver-

ständlich müssen diese auch dem

Lehrling verpflichtend vorgeschrie-

ben werden. Ansonsten würde die

gesetzlich geregelte Berufsausbil-

dung ja dem Belieben der Lehrlinge

überlassen werden. Es ist jedoch in-

akzeptabel, sie mittels Trainingsa-

benden zur wöchentlichen Leistung

von ein bis drei unbezahlten Über-

stunden zu vergattern.

Vor nicht allzu langer Zeit war

Friseurin ein Traumberuf vor allem

vieler Mädchen. In den letzten zehn

Jahren hat sich die Zahl der Lehr-

linge in diesem Beruf allerdings um

30 % verringert (in Tirol derzeit

410 Lehrlinge).

Die Friseur-

betriebe suchen

dringend

nach

Nachwuchs. Es wäre

also gerade ein guter

Zeitpunkt, an der At-

traktivierung der Fri-

seurlehre zu arbeiten

und die Ausbildung

endlich auf der Grundla-

ge der geltenden Gesetze

zu organisieren.

A

ls Durchbruch in Richtung

mehr Lernqualität sieht AK

Präsident Erwin Zangerl die

bevorstehende Erweiterung

des Berufsschulunterrichts. Der Ge-

setzesentwurf des Bildungsminis-

teriums sieht nämlich vor, dass alle

Lehrlinge in Zukunft mindestens

1.260 Stunden die Schule besuchen

müssen. „Damit wird eine Forde-

rung vonArbeiterkammer

und Gewerkschaft end-

lich umgesetzt.

Für die betroffenen Lehrberufe be-

deutet das eine klare Aufwertung“,

sagt Zangerl. 200 Lehrberufe und

110.000 Lehrlinge fallen unter die

Neuerung, darunter auch Friseur-

lehrlinge (siehe oben), für die es

innerhalb ihrer dreijährigen Aus-

bildung nun sechzig Stunden mehr

Theorie gibt. Auch für

die österreichweit

gut 10.000 Lehr-

linge im Gastge-

werbe

(bis-

her 1.080

Ausbildungseinheiten) bedeutet die

Gesetzesänderung die Beseitigung

einer Ungerechtigkeit. „Klar ausge-

drückt hieß das bisher, dass die einen

im Betrieb mehr anpacken mussten,

während andere seltener im Betrieb

waren und besser auf den Beruf

vorbereitet wurden“, gibt Zangerl

zu bedenken. „Die Erweiterung der

Stundenzahl schafft endlich Chan-

cengleichheit zwischen den Lehrbe-

rufen und letztlich können Lehrlinge

auch zusätzlichen Unterricht in be-

rufsspezifischen Fächern

bekommen“, hebt Zangerl her-

vor. Als nächsten wichtigen Punkt

möchte dieAK verpflichtendes Qua-

litätsmanagement in den Lehrbetrie-

ben durchsetzen. „Es kann nicht

sein, dass mehr als ein Fünftel bei

der Abschlussprüfung beim ersten

Mal durchfällt oder gar nicht antritt,

weil es im Betrieb mit der

praktischen Ausbildung

hapert. Hier brauchen wir

Lösungen im Sinne der

jungen Menschen“, so

Zangerl (s. re.).

D

ie Bilanz ist ernüchternd: Ein Fünftel

der Lehrlinge besteht die Lehrab-

schlussprüfung nicht beim ersten Mal,

fünf Prozent treten nicht einmal an.

Dabei schaffen fast alle die Berufsschule

und sind damit in der Theorie positiv. Ein

hoher Prozentsatz der Lehrlinge kritisiert

in diesem Zusammenhang die Situation

amAusbildungsort und die Qualität der

praktischen Ausbildung. Um der hohen

Ausfallsquote und der Frustration bei den

Lehrlingen entgegenzuwirken, fordert

die AK ein gesetzlich vorgeschriebenes

Qualitätsmanagement und Qualitäts-

normen für die Ausbildung. „Die

Lehrlinge können nur so gut sein,

wie die Betriebe, die sie ausbilden.

Außerdem darf es kein Lotteriespiel

sein, ob jemand gut ausgebildet

wird oder nicht“, sagt dazu AK

Präsident Erwin Zangerl, der zudem

qualitätsgebundene Fördermodel-

le, mehr Aus- und Weiterbildung

für Ausbildner und ein Ende der

berufsfremden Tätigkeiten fordert.

Neues Gesetz.

Lehrlinge sollen in Zukunft mehr Zeit in den Berufsschulen verbringen. Dadurch werden Ungerechtigkeiten beseitigt und die Qualität der Lehre gehoben.

Foto: AlexanderNovikov/Fotolia.com

Foto: juefraphoto

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