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Seite 36 WISO

Die Nachkriegszeit brach-

te hohe Wachstumsraten

mit sich (in Europa betrug

das durchschnittliche jähr-

licheWirtschaftswachstum

von 1950 -1980 3,4%), da

die europäischen Staaten

nach dem Krieg im großen

Stil Investitionen nachho-

len mussten und auch in

Europa Massenkonsum-

gesellschaften wie in den

USA entstanden, was die

gesamtwi r t schaf t l i che

Nachfrage erhöhte.

In diesen Jahrzehnten, die

auch prägend für die Men-

talität vieler heute aktiver

politischen Gestalterinnen

und Gestalter war, wurde

Wirtschaftswachstum auch

erstmals eine „fühlbare und unverkennbare Realität“

für die breite Masse der Menschen in den westlichen

Gesellschaften.

7

Hohes Wachstum, argumentiert

Piketty, brächte Möglichkeiten sozialer Mobilität mit

sich und erzeuge durch den gesellschaftlichen Wan-

del auch eine hohe Nachfrage nach neuem Know-

how, verschiedensten Ausbildungen und Skillsets.

Begleitet von entsprechenden bildungspolitischen

Maßnahmen wäre diese Verbreitung von Wissen und

Können in einem Umfeld höheren Wirtschaftswachs-

tums die bedeutendste „Kraft der Konvergenz“, hin

zu einer gleicheren Verteilung von Vermögenswerten

und Einkommen.

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Verhältnisse wie vor mehr als 100 Jahren?

Aber, wie Piketty betont, die großen Vermögen erle-

ben ein „Comeback“. Ausgelöst wird dieses Come-

back durch die Rückkehr eines Umfelds geringen

Wirtschaftswachstums, das höhere Vermögenskon-

zentrationen begünstigt. Geringe Wachstumsraten in

den großen westlichen Volkswirtschaften, ein Steu-

erwettbewerb nach unten, um Kapital anzulocken

und der technologische Fortschritt begünstigen Kapi-

taleinkünfte. Die Kapitalrenditen („r“) übertreffen das

Wirtschaftswachstum und sorgen damit erneut für

Divergenzen in der Vermögensverteilung.

In der Tat zeigt sich, dass die privaten Vermögensbe-

stände seit den 1980er Jahren im Vergleich zum BIP

ansteigen und, sollte dieser Trend anhalten, inner-

halb weniger Jahre bzw. Jahrzehnte wieder ein Ni-

veau erreichen, wie es vor dem Ausbruch des Ersten

Weltkrieges hatten. Piketty prognostiziert eine Rück-

kehr zu einem Zustand eines „patrimonialen Kapi-

talismus“ in dem (vererbte) Vermögen der zentrale

Einflussfaktor auf die erreichbare Einkommenshöhe

sind. Piketty sieht auch keine „natürliche Kraft“, keine

Gesetzmäßigkeit, die einer solchen Entwicklung ent-

gegenwirken würde. Im Gegenteil, Piketty schätzt die

Kräfte der Divergenz, d.h. hin zu einer zunehmenden

Ungleichverteilung, als deutlich stärker ein, als die

Kräfte der Konvergenz.

Forderung: eine globale Vermögenssteuer

Um diesen Tendenzen zu begegnen, schlägt Piket-

ty – idealtypisch – die Einführung einer progressi-

ven, globalen Kapitalsteuer vor, gekoppelt mit einem

sehr hohen Maß an Transparenz im internationalen

Finanzsystem. Piketty denkt an eine Steuer auf den

gesamten Nettovermögenswert („net worth“) einer

Person. Unter einer Million Euro würde nach dem

Vorschlag von Piketty keine Steuer anfallen, zwi-

schen einer und fünf Millionen wäre 1% fällig, bei

noch größeren Vermögen ein Prozentsatz von 2%.

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Dazu notwendig wäre auch, so eine weitere For-

derung von Piketty, ein automatischer, hochgradig

transparenter Datenaustausch zwischen den Finanz-

verwaltungen und dem Bankensystem.

Das Ziel einer derartigen Vermögensbesteuerung

sieht Piketty nicht in der Staatsfinanzierung, son-

7

ebda. S. 87

8

ebda. S. 22

9

vgl. ebda. S. 517

Thomas Piketty attestiert, dass die westlichen Staaten hinsichtlich der Vermögensvertei-

lung wieder auf Verhältnisse wie vor hundert Jahren zusteuern könnten.

cc Socialdemokraterna, bearbeitet