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dern im regulierenden Effekt auf das kapitalistische
Wirtschaftssystem. Die zunehmende Ungleichvertei-
lung würde eingedämmt und eine Regulierung des
Finanz- und Bankensystem möglich. Ein weiterer Ef-
fekt der Einführung einer solchen Steuer bestünde
für Piketty darin, erstmals eine verlässliche Datensi-
tuation über die globale Vermögenssituation herzu-
stellen, womit eine fundierte demokratische Debatte
über Verteilungsfragen ermöglicht würde.
Piketty selbst weiß und betont auch, dass die Ein-
führung einer solchen Besteuerung von Vermögens-
werten im globalen Ausmaß derzeit keinesfalls realis-
tisch ist. Piketty betrachtet seinen Entwurf dennoch
für einen Referenzpunkt, an dem sich steuerliche
Maßnahmen messen lassen müssten, will man die
zunehmende Ungleichverteilung eindämmen. Außer-
dem seien Zwischenschritte, etwa eine regionale Ein-
führung (z.B. innerhalb der EU) durchaus vorstellbar
und sinnvoll. Piketty argumentiert, dass es auch bei
der Einführung der progressiven Einkommenssteuer
massive Widerstände gegeben hätte, progressive
Steuertarife nun jedoch ein akzeptiertes und unab-
dingliches Instrument zur Finanzierung der Staaten
und zur Verteilung der finanziellen Lasten seien.
Angriffe auf Piketty
Die Reaktionen auf die Veröffentlichung von „Ca-
pital in the Twenty-First Century“ waren durchaus
nicht nur positiv. Der heftigste Angriff kam von der
Financial Times, die Piketty vorwarf, Datenfehler ge-
macht zu haben bzw. in einigen Fällen nur solche
Daten verwendet zu haben, die zu seinen Thesen
passen würden.
10
Dadurch würden sich zentrale
Aussagen seines Buches nicht mehr halten lassen,
die Ungleichheit im Falle Großbritanniens z.B. gar
nicht bzw. nicht im von Piketty dargestellten Ausmaß
ansteigen. Piketty nahm dazu in einem technischen
Papier ausführlich Stellung und konnte die Vorwürfe
letztlich zerstreuen.
11
Auch das britische Wirtschafts-
blatt „The Economist“ kritisierte Piketty. Allerdings
wurden nicht Pikettys Grundaussagen in Zweifel
gezogen, sondern dessen (steuer-)politische Hand-
lungsempfehlungen.
„The Economist“ kritisierte, dass Piketty eventuelle
Kosten, die mit einer Einführung einer progressiven
Vermögenssteuer verbunden wären, völlig außer
Acht lassen würde und negative Anreizeffekte auf
unternehmerische Tätigkeiten und die Risikobereit-
schaft einfach ignorieren würde. Auch ließe er die
Frage unbeantwortet, warum man massive Maßnah-
men gegen Ungleichverteilung ergreifen müsse und
nicht versuchen könnte, beispielsweise das geringe
Wirtschaftswachstum zu adressieren.
Zusammenfassend
Piketty hat mit „Capital in the Twenty-First Century“
ein umfassendes, fast schon monumentales Werk
vorgelegt, das die Dynamiken der Verteilung von Ver-
mögen und Einkommen in der westlichen Welt in den
letzten 200 Jahren überzeugend darstellt. Eine zen-
trale Aussage Pikettys ist seine Warnung, dass es
kein natürliches Gegengewicht zu einer immer weiter
zunehmenden Konzentration der Vermögen gibt. Ein
Ausgleich zwischen den verschiedenen Akteuren ist
in unserer derzeitigen kapitalistischen „Spielanord-
nung“ nicht naturgesetzlich angelegt, sondern muss
aktiv angestrebt und gegen Widerstände durchge-
setzt werden muss. Piketty liefert mit seinem Vor-
schlag für eine progressive Vermögensbesteuerung
gleich einen möglichen Referenzpunkt.
Piketty warnt eindringlich vor den Folgen einer zuneh-
menden gesellschaftlichen Entsolidarisierung, wenn
von den Bürgerinnen und Bürgern das Steuersystem
als ungerecht empfunden wird. Denn Steuern sind
weitaus mehr als nur ein Mittel zur Staatsfinanzie-
rung. Sie geben dem Staat als soziale Gemeinschaft
eine gemeinsame Richtung und kanalisieren die po-
litische Debatte. Durch Besteuerung entwickeln die
Bürgerinnen und Bürger ein echtes Anliegen an der
Steuerung des Gemeinwesens, denn es geht um ihre
Mittel, die verwendet werden. Kommt es zu einem
lang anhaltenden, als ungerecht empfundenen Zu-
stand in der Besteuerung und der Verteilung der fi-
nanziellen Ressourcen in einer Gesellschaft, wenden
sich die Bürgerinnen und Bürger vom Gemeinwesen
ab. Das ist die bedeutsame demokratiepolitische Di-
mension von „Capital in the Twenty-First Century“.
Gleichzeitig ist es eine Warnung vor den derzeitigen
Entwicklungen.
10
vgl. Financial Times (2014)
11
vgl. Piketty (2014 III)
Quellen:
Thomas Piketty , 2014 (I), Capital in the Twenty-First Century,
Thomas Piketty, 2014 (II), Capital in the 21st Century: Presenta-
tion Slides
Thomas Piketty, 2014 (III), Technical appendix of the book „Capi-
tal in the Twenty-First Century“ (…) Addendum: Response to FT
A Modern Marx, The Economist, 3. – 9. Mai 2014