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WISO Seite 37

dern im regulierenden Effekt auf das kapitalistische

Wirtschaftssystem. Die zunehmende Ungleichvertei-

lung würde eingedämmt und eine Regulierung des

Finanz- und Bankensystem möglich. Ein weiterer Ef-

fekt der Einführung einer solchen Steuer bestünde

für Piketty darin, erstmals eine verlässliche Datensi-

tuation über die globale Vermögenssituation herzu-

stellen, womit eine fundierte demokratische Debatte

über Verteilungsfragen ermöglicht würde.

Piketty selbst weiß und betont auch, dass die Ein-

führung einer solchen Besteuerung von Vermögens-

werten im globalen Ausmaß derzeit keinesfalls realis-

tisch ist. Piketty betrachtet seinen Entwurf dennoch

für einen Referenzpunkt, an dem sich steuerliche

Maßnahmen messen lassen müssten, will man die

zunehmende Ungleichverteilung eindämmen. Außer-

dem seien Zwischenschritte, etwa eine regionale Ein-

führung (z.B. innerhalb der EU) durchaus vorstellbar

und sinnvoll. Piketty argumentiert, dass es auch bei

der Einführung der progressiven Einkommenssteuer

massive Widerstände gegeben hätte, progressive

Steuertarife nun jedoch ein akzeptiertes und unab-

dingliches Instrument zur Finanzierung der Staaten

und zur Verteilung der finanziellen Lasten seien.

Angriffe auf Piketty

Die Reaktionen auf die Veröffentlichung von „Ca-

pital in the Twenty-First Century“ waren durchaus

nicht nur positiv. Der heftigste Angriff kam von der

Financial Times, die Piketty vorwarf, Datenfehler ge-

macht zu haben bzw. in einigen Fällen nur solche

Daten verwendet zu haben, die zu seinen Thesen

passen würden.

10

Dadurch würden sich zentrale

Aussagen seines Buches nicht mehr halten lassen,

die Ungleichheit im Falle Großbritanniens z.B. gar

nicht bzw. nicht im von Piketty dargestellten Ausmaß

ansteigen. Piketty nahm dazu in einem technischen

Papier ausführlich Stellung und konnte die Vorwürfe

letztlich zerstreuen.

11

Auch das britische Wirtschafts-

blatt „The Economist“ kritisierte Piketty. Allerdings

wurden nicht Pikettys Grundaussagen in Zweifel

gezogen, sondern dessen (steuer-)politische Hand-

lungsempfehlungen.

„The Economist“ kritisierte, dass Piketty eventuelle

Kosten, die mit einer Einführung einer progressiven

Vermögenssteuer verbunden wären, völlig außer

Acht lassen würde und negative Anreizeffekte auf

unternehmerische Tätigkeiten und die Risikobereit-

schaft einfach ignorieren würde. Auch ließe er die

Frage unbeantwortet, warum man massive Maßnah-

men gegen Ungleichverteilung ergreifen müsse und

nicht versuchen könnte, beispielsweise das geringe

Wirtschaftswachstum zu adressieren.

Zusammenfassend

Piketty hat mit „Capital in the Twenty-First Century“

ein umfassendes, fast schon monumentales Werk

vorgelegt, das die Dynamiken der Verteilung von Ver-

mögen und Einkommen in der westlichen Welt in den

letzten 200 Jahren überzeugend darstellt. Eine zen-

trale Aussage Pikettys ist seine Warnung, dass es

kein natürliches Gegengewicht zu einer immer weiter

zunehmenden Konzentration der Vermögen gibt. Ein

Ausgleich zwischen den verschiedenen Akteuren ist

in unserer derzeitigen kapitalistischen „Spielanord-

nung“ nicht naturgesetzlich angelegt, sondern muss

aktiv angestrebt und gegen Widerstände durchge-

setzt werden muss. Piketty liefert mit seinem Vor-

schlag für eine progressive Vermögensbesteuerung

gleich einen möglichen Referenzpunkt.

Piketty warnt eindringlich vor den Folgen einer zuneh-

menden gesellschaftlichen Entsolidarisierung, wenn

von den Bürgerinnen und Bürgern das Steuersystem

als ungerecht empfunden wird. Denn Steuern sind

weitaus mehr als nur ein Mittel zur Staatsfinanzie-

rung. Sie geben dem Staat als soziale Gemeinschaft

eine gemeinsame Richtung und kanalisieren die po-

litische Debatte. Durch Besteuerung entwickeln die

Bürgerinnen und Bürger ein echtes Anliegen an der

Steuerung des Gemeinwesens, denn es geht um ihre

Mittel, die verwendet werden. Kommt es zu einem

lang anhaltenden, als ungerecht empfundenen Zu-

stand in der Besteuerung und der Verteilung der fi-

nanziellen Ressourcen in einer Gesellschaft, wenden

sich die Bürgerinnen und Bürger vom Gemeinwesen

ab. Das ist die bedeutsame demokratiepolitische Di-

mension von „Capital in the Twenty-First Century“.

Gleichzeitig ist es eine Warnung vor den derzeitigen

Entwicklungen.

10

vgl. Financial Times (2014)

11

vgl. Piketty (2014 III)

Quellen:

Thomas Piketty , 2014 (I), Capital in the Twenty-First Century,

Thomas Piketty, 2014 (II), Capital in the 21st Century: Presenta-

tion Slides

Thomas Piketty, 2014 (III), Technical appendix of the book „Capi-

tal in the Twenty-First Century“ (…) Addendum: Response to FT

A Modern Marx, The Economist, 3. – 9. Mai 2014