Tiroler Arbeiterzeitung - page 10

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THEMA:
POSITIONEN
Jugend zweifelt an
Gerechtigkeit
AK Jugendstudie.
Die 14- bis 29Jährigen haben vielfach das Gefühl, mit ihren Problemen allein gelassen zu werden.
D
ie jungen Leute in Österrei-
ch zweifeln an der Gerech-
tigkeit in der Gesellschaft.
Außerdem sind viele der Meinung,
sie müssten sich selber durchbeißen,
sonst hilft ihnen heute keiner mehr.
Das sind die Kernaussagen der Ju-
gendwertestudie, die das Institut für
Jugendkulturforschung im Auftrag
der Arbeiterkammer durchgeführt
hat.
Niedrige Erwartung.
Von
der Gesellschaft erwarten sich die 14-
bis 29Jährigen wenig. Wichtig ist ih-
nen die eigene Tätigkeit, also Schule
oder Ausbildung, Arbeit und Weiter-
bildung. Rückhalt suchen sie bei der
Familie und bei Freunden. Gleichzei-
tig sehen sie hohe Anforderungen an
sich selbst.
Zweifel.
Fast drei Viertel der Ju-
gendlichen und der jungen Erwachse-
nen sagen, die Schere zwischen Reich
und Arm öffnet sich. Mehr als die
Hälfte sieht, dass immer mehr an den
Rand gedrängt werden. Und fast die
Hälfte der Befragten sagt: „Wir Jun-
gen müssen für uns selbst sorgen, uns
hilft heute keiner mehr.“
Hohe Anforderungen.
Mehr
als die Hälfte der jungen Menschen
sagt, sie stehen in Arbeit, Schule,
Liste Erwin Zangerl, AAB-FCG
Erwin Zangerl,
AK-Präsident
Z
wei Drittel aller Niedriglohnbeschäftigten sind
Frauen. Hervorgerufen wird diese Benachteili-
gung durch atypische Arbeitsformen, vor allem Teil-
zeitarbeit, die von Frauen überdurchschnittlich oft in
Anspruch genommen wird. Gerade in Tirol fehlen in
einigen Bezirken und Talschaften ganzjährige Voll-
zeitarbeitsplätze. Verstärkt wird diese Problematik
durch fehlende Kinderbetreuungsplätze. So kommt
es, dass sieben von zehn erwerbstätigen Frauen mit
Kindern unter 15 Jahren Teilzeit arbeiten. Dazu kom-
men noch schlechte Verkehrsanbindungen beim Öf-
fentlichen Verkehr in den Zentralraum. Und vielfach halten Partnerschaften
nicht mehr ein Leben lang. Wer von Teilzeitarbeit leben muss, hat zu wenig
Einkommen für sein Auskommen. Teilzeitarbeit wird aber spätestens dann
zur Falle, wenn am Ende eines harten Familien- und Arbeitslebens eine Min-
destpension droht und dadurch viele Betroffene in die Armutsfalle geraten.
Tirol braucht mehr Vollzeitarbeitsplätze und benötigt dringend mehr flächen-
deckende Kinderbetreuung.
<<
AUS DEM ÖGB
Gut gerüstet
bei Sturmböen
T
rotz stürmischer Windböen
ließen mehr als 140 Be-
triebsrätinnen und Betriebsräte
beim ÖGB-Sommerfest auf der
Dachterrasse des ÖGB-Inns-
bruck das erste Halbjahr gewerk-
schaftspolitischer Arbeit Revue
passieren. „Wir sind in der Sozi-
alpartnerschaft Gegenwind ge-
wohnt, vor allem seitens der Ar-
beitgebervertreter. Die Gangart
wird härter, doch gemeinsam
mit Betriebsräten, Personalver-
tretern und der Arbeiterkammer
werden wir auch im zweiten Halb-
jahr Vollgas für Tiroler Arbeitneh-
mer geben. In Kollektivverträgen
und auf sozialpolitischer Ebene
haben wir heuer schon Großes
geleistet“, so der Tiroler ÖGB-
Vorsitzende Otto Leist. „Da ich
selbst Betriebsrat bin, weiß ich,
mit welchen Drucksituationen
Arbeitnehmervertreter umge-
hen müssen.“ AK Präsident Er-
win Zangerl unterstrich die gute
Zusammenarbeit mit dem ÖGB.
Ins selbe Horn bläst auch Leist:
„Die Zusammenarbeit mit der
AK ist vorbildlich. Wir gehen ziel-
orientiert an die Probleme der
Tiroler Arbeitnehmer heran und
ergänzen uns. Dass es in der
Sozialpartnerschaft ab und zu
Stunk gibt, liegt definitiv nicht an
uns.“
Der Zukunft eine
Chance geben
D
ie AK hat eine Reihe von
Vorschlägen: Es braucht in-
dividuelle Förderung, wenn in der
Schule das Scheitern droht. Die
AK fordert das verpflichtende Un-
terrichtsfach Berufsorientierung
in der 7. und 8. Schulstufe und
in den Oberstufenschulen. Jeder
braucht eine zweite Chance: Auch
das Nachholen von Lehrabschlüs-
sen und der Matura soll kosten-
los werden. In der betrieblichen
Lehrausbildung fordert die AK ein
eigenes Qualitätsmanagement.
An den Hochschulen ist Bedacht
zu nehmen, dass immer mehr
Studierende gleichzeitig berufs-
tätig sein müssen. Verbessert
werden muss das System der
Studienbeihilfen,
berufsbeglei-
tende Studienangebote und der
Fachhochschulsektor. Schluss mit
dem Ausnutzen junger Menschen
beim Berufseinstieg: Pflichtprak-
tika bedürfen einer gesetzlichen
Regelung und Mindeststandards
bezüglich der Entlohnung. Bil-
dungsabschlüsse müssen beim
Berufseinstieg anerkannt werden.
AK Fraktionen:
Teilzeit
als
Chance und Falle
für Frauen
Sozialdemokratische GewerkschafterInnen
Otto Leist,
Fraktionsvorsitzender
T
eilzeit hübscht Arbeitsmarktzahlen auf und wird
zur Falle. Die Anzahl an Teilzeitkräften hat sich
in den vergangen Jahrzehnten beinahe verdoppelt.
Die Teilzeitarbeit mag vielen als Wiedereinstieg in
das Berufsleben sehr dienlich sein, kann aber zur
Falle werden und schönt den Arbeitsmarkt. Und die
Wirtschaft ist auch schon auf den Geschmack von
superflexiblen Arbeitskräften gekommen, die da mal
ein paar Stunden arbeiten, dort das beschäftigungs-
lose Loch stopfen und letztendlich dann arbeiten
müssen, wenn sie es selbst eigentlich nicht wollen.
Wenn diese Entwicklung hin zu sogenannten McJobs anhält, lässt das viele
Erwerbstätige und hier vor allem Frauen dann in die sogenannte Allseits-
Verfügbarkeit und Armut abrutschen. Der Tiroler Arbeitsmarkt und wir alle
brauchen gut bezahlte Vollzeitarbeitsplätze und Einkommen, die auch zum
Auskommen reichen. Wer einmal als Teilzeitkraft eingestellt wird, der wird
es erfahrungsgemäß schwer haben, dort wieder rauszukommen. Daher gilt
es, diesem Trend entschieden entgegenzutreten.
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grüne in der ak
Helmut Deutinger,
Fraktionsvorsitzender
A
lle Vorschläge zur künftigen Finanzierbarkeit des
Pensionssystems laufen letztendlich auf eine Ver-
längerung der Lebensarbeitszeit hinaus. Viele gerade
jüngere Leute reagieren schon heute mit Teilzeitarbeit,
um die vielen Jahre an Erwerbstätigkeit auch durchste-
hen zu können. Weitere Argumente sind die Betreu-
ungspflichten für Kinder oder Angehörige aber auch die
eigene Lebensqualität. Letztendlich geht es aber immer
um die Einkommenshöhe, egal mit welchem Stunden-
ausmaß es erzielt wird. Kann ich mit diesem Verdienst
mein Leben finanzieren und für eine vernünftige Pensionshöhe sorgen? In man-
chen Branchen kann getrost weniger gearbeitet werden und in anderen kann
nur mit regelmäßigen Überstunden oder sogar einem weiteren Job ein Auskom-
men erreicht werden. Natürlich wird Teilzeitarbeit auch in manchen Betrieben
zur Ausbeutung missbraucht, weil das Arbeitsausmaß nicht geändert wird. In
Österreich gilt nach wie vor die 40-Stundenwoche als Regelarbeitszeit. Die Grü-
nen fordern schon lange die 35-Stundenwoche und damit eine Anpassung an die
gesellschaftliche Realität aber auch eine zusätzliche Erhöhung der Einkommen.
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freiheitliche arbeitnehmer in der ak
Heribert Mariacher,
Fraktionsobmann
W
ir brauchen eine Reform der Teilzeitarbeit und
der übrigen atypischen Beschäftigungsformen.
Es zeigt sich, dass dieses System immer mehr zum
Kosten sparenden Spielball weniger Profiteure wird.
Während sich eine geringe Anzahl von Konzernen Ko-
sten in Millionenhöhe, insbesondere im Bereich der
Sozialversicherung, erspart und von den pol itisch Ver-
antwortlichen eine höhere Beschäftigungsrate vorge-
täuscht wird, ist es die Arbeitnehmerschaft, die unter
den Bedingungen zu leiden hat. Teilzeitarbeit ermögli-
cht vielen leistungsbereiten Menschen, neben ihren hauptsächlichen Tagesab-
lauf zusätzlich produktiv tätig zu sein, ohne exorbitante Abgabenbelastungen in
Kauf nehmen zu müssen. Eindeutig negativ wirken sich auf diese Zielsetzung
die Beschränkungen der täglichen Verdienstgrenze sowie die Ausgestaltung
der Geringfügigkeitsgrenze als Freigrenze aus. Die freiheitliche Arbeitnehmer-
vertretung fordert die Beseitigung dieser für die Betroffenen grob nachteiligen
Bestimmungen, indem die Tagesverdienstgrenze ersatzlos gestrichen und die
monatliche Geringfügigkeitsgrenze als Freibetrag gestaltet wird.
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Nr. 42, Juli | August 2012
Zweifel.
Fast drei Viertel der jungen Erwachsenen sagen, die Schere zwischen
Reich und Arm öffnet sich.
Gemeinsam.
ÖGB-Chef Otto Leist
und AK Präsident Erwin Zangerl
beim Grillen.
Interesse an Politik.
Dabei
ist das Interesse der jungen Menschen
an Politik gestiegen. In der Gesell-
schaft wollen sie mehr Gerechtigkeit.
Drei Viertel sagen: Wer mehr besitzt,
soll auch einen größeren Beitrag lei-
sten. In Schule und Ausbildung for-
dern die Jungen mehr individuelle Be-
treuung und Förderung. „Wir müssen
die Sorgen und Wünsche der Jungen
ernst nehmen“, verlangt AK Präsi-
dent Erwin Zangerl. Die AK teilt die
Forderung nach Gerechtigkeit: „Der
Beitrag der Millionäre zur Bewälti-
gung der Krisenfolgen ist zu gering.“
Im Bereich von Schule, Ausbildung,
Studium und Arbeitswelt fordert die
AK Initiativen für individuelle Be-
treuung und Förderung in der Schule,
mehr wertschätzenden Umgang mit
Lehrlingen und gegen das Ausnutzen
Junger in Praktika.
Ein düsteres Bild.
Für die
Jungendwertestudie wurde eine re-
präsentative Stichprobe von 1.500 Ju-
gendlichen und jungen Erwachsenen
im Alter von 14 bis 29 Jahren befragt.
Besonders emotionalisiert hat die
Jugendlichen die Bankenkrise. Viele
empfinden eine tiefe Machtlosigkeit
gegenüber den Vorgängen in Staat
und Wirtschaft. Zum überwiegenden
Teil meinen sie, die Börsen wären ei-
gentlich das Zentrum der Macht.
<<
Ausbildung oder Studium stark un-
ter Druck. In Praktika fühlt sich die
Mehrheit der Jungen ausgenützt: „Die
meisten Betriebe benutzen Prakti-
kanten nur als billige Arbeitskräfte“,
sagen gut zwei Drittel der Befragten.
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