Tiroler Arbeiterzeitung - page 12

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Zum Nachlesen.
Neues aus der „Graphschaft“ Tirol. Ein Bilderbuch zum Wundern für Neugierige mit interessanten
Perspektiven und überraschenden Ergebnissen. Ein Gastkommentar von Professor Josef Nussbaumer.
Das Tirol-Buch
zum Wundern
V
or kurzem wurde ein neues Buch zu Tirol
mit dem etwas ironischenTitel: „Die GRA-
PHEN von Tirol. Ein Bilderbuch für Neu-
gierige“ präsentiert. Wichtig ist auch die Schreib-
weise: Die Graphen schreiben sich nicht mit „f“,
sondern mit „ph“. Der Inhalt des Buches besteht
nämlich aus Graphiken zur sozialen, wirtschaft-
lichen und gesellschaftlichen Situation in Tirol.
Dabei sind aktuelle, aber auch historische Entwick-
lungen des Landes abgebildet. Die Autoren des
Bandes sind der an der Universität Innsbruck tätige
Ökonom und Wirtschaftshistoriker Josef Nuss-
baumer und der Betriebswirt und Graphiker Stefan
Neuner. Aus der Fülle des Materials seien hier nur
einige wenige Skizzen ausgewählt, aus denen z.B.
hervorgeht, wie radikal, also bis in die Wurzeln hi-
nein (radikal kommt vom Lateinischen „radix“ und
heißt die Wurzel) die Tiroler Gesellschaft sich v.a.
in den letzten 60 Jahren verändert hat.
Würden wir heute über Nacht mit einer Zeit-
maschine in das Jahr 1947oder 1948 versetzt und
müssten nur ein paar Tage so leben, wie man da-
mals in Tirol gelebt hat, dann würde uns das wohl
alle in einen Schockzustand versetzen. Oder anders
formuliert: Noch NIE in der langen Geschichte Ti-
rols wurden die Lebensbedingungen für ALLE im
Lande in so kurzer Zeit so gravierend verändert, wie
seit der Nachkriegszeit.
Zu Beginn des Jahres 1948 war Tirol noch ein
Hungerland im wahrsten Sinne des Wortes. Bei-
spielsweise wurden damals in Innsbruck weniger
als 1.400 Kcal. pro Erwachsenen und Tag verteilt
(zugeteilt). Das ist weniger, als heutige Diätpro-
gramme zum Abnehmen empfehlen.
Ähnlich deutlich zeigt sich die große Verände-
rung an Hand eines anderen Graphen, der sich mit
der Lohnentwicklung eines Zimmermanngesellen
seit Ende des Mittelalters beschäftigt. Rund ein bis
zwei kg Butter verdiente dieser pro Tag bis herauf
ins Jahr 1950, 1995 dagegen waren es über 12 kg,
also 6 bis 12 mal so viel als vorher im langfristigen
Durchschnitt.
Dass die Landwirtschaft seit dem 2. WK zu
den großen Verlierern gehörte, steht außer Zwei-
fel. Gab es 1951 noch knapp 18.000 Vollerwerbs-
bauern im Lande, so sank diese Zahl auf heute
unter 4.000, mit anderen Worten: mehr als drei
Viertel der Bauern haben ihren Vollerwerb aufge-
geben (vgl. Graphik). Ob trotz dieses Aderlasses
(oder gerade deswegen?) das „verdeckte“ Perso-
nalsponsoring für die Landeslandwirtschafts-
kammer durch das Land Tirol (über 62 Mio. €
Personalkostenzuschuss seit 2002, während Ar-
beiterkammer und Wirtschaftskammer keinen
Cent bekamen, vgl. Graphik) gerechtfertigt ist,
bleibt dahingestellt. Die Autoren versehen ihren
Graphen jedenfalls mit dem Begriff „Faires Per-
sonalsponsoring“ und einem Fragezeichen. Auf
zwei weiteren Graphiken zeigt sich die rasant stei-
gende Entwicklung der Zahl der unselbständig
Beschäftigten und die massiven Veränderungen
in den einzelnen Wirtschaftssektoren im Lauf der
letzten 100 Jahre.
Dass z.B. auch der Energieverbrauch in Tirol
seit 1950 um den Faktor 10 (!) gestiegen ist, zei-
gen weitere Graphiken. Dahinter verbergen sich
die vielen energieintensiven Lebensformen, die
seit Kriegsende in Tirol Einzug gehalten haben,
angefangen von der Elektrifizierung des Alltagsle-
bens (v.a. im Haushalt) bis hin zumTransportwe-
sen. Der Individualverkehr (Autos) z.B. stellt um
1950 noch eine völlige Rarität dar. Elektroherde
und Waschmaschinen waren noch eine absolute
Seltenheit, Geschirrspüler oder Fernseher (man
schrieb damals noch „TiWi“, statt TV) gab es
noch überhaupt nicht. Gar nicht zu reden von
einem PC oder dem Internet, die erst Jahrzehnte
später in Tirol Einzug hielten.
An einer letzten Graphik, der Entwicklung der
Haushaltsausgaben für Ernährung sieht man, wie
vorteilhaft diese für den Durchschnittskonsu-
menten verlaufen ist. Der Ernährungsanteil am
Haushaltseinkommen sank von gut der Hälfte des
Einkommens Mitte der 1950er Jahre, auf ein Ach-
tel in der Gegenwart. Dies sind in der Tat radikale
Veränderungen, die still und leise ins Land zogen.
Bei all den Problemen, welche die Tiroler Bevöl-
kerung in der Gegenwart bewegen, ist somit fest-
zuhalten, dass ein kleiner Rückblick in die jüngere
Vergangenheit hilft, gegenwärtige Probleme ein
wenig zu relativieren und vielleicht auch wieder ein
wenig zufriedener mit der Gegenwart zu werden.
Viele dieser hier nur skizzenhaft angedeuteten
Veränderungen (und noch vieles mehr) kann
man in dem oben zitieren Werk nachlesen, besser
„nachschauen“. Auf z.T. witzige und unkonven-
tionelle Art und Weise regt es geradezu an, auch
selber über das Land ein wenig nachzudenken
und zwar nicht nur über die Geschichte, sondern
auch über die Gegenwart und Zukunft. Das Buch
sollte eigentlich in keiner öffentlichen Bibliothek
fehlen, damit Jung und Alt (vielleicht sogar ge-
meinsam) ohne großen Zeitaufwand sich einen
Überblick über das gesellschaftliche Leben und
dessen Entwicklung in der „Graphschaft“ Tirol
machen können.
So gewinnen Sie.
Die Arbeiterzeitung
verlost Freiexemplare dieses Buches. Einfach unter
dem Stichwort „Die Graphen von Tirol“ mailen
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, faxen an: 0512/5340 - 1290
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ximilianstr. 7, 6020 Innsbruck. Bitte unbedingt
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Nr. 42, Juli | August 2012
Berufstätige nach Wirtschaftssektoren
Quelle: StJBÖ 2009, S. 40; mit Anmerkungen zu einzelnen Zahlenwerten und DDT.
Verschwinden der Bauern?
Quelle: Nussbaumer 1987, S. 155; Tiroler Tageszeitung vom 8.4.2009, S. 3
Ausgaben für Ernährung
Quelle: Eigene Zusammenstellung aus diversen Konsumerhebungen
Faires Personalsponsoring?
Quelle: Landesbudgets; 2002 bis 2010: Abschlüsse, 2011/12: Voranschläge
Unselbständige Beschäftigte
Quelle: AK-Jahrbücher 1996 bis 2009
THEMA:
GASTKOMMENTAR
Die Graphen von Tirol. Ein Bilderbuch für Neugie-
rige von Josef Nussbaumer und Stefan Neuner.
Studia Universitätsverlag. Der Reinerlöse aus
dem Projekt kommt karitativen Zwecken zu
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