Tiroler Arbeiterzeitung - page 8

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Nr. 68, November 2014
THEMA:
JUNGE & AUsBILDUNG
R
und 300 Jugendliche kön-
nen sich in Tirol derzeit
für eine Lehre als Hotel-
und Gastgewerbeassistent begei-
stern. Doch der überwiegende Teil
von ihnen wird in den Betrieben
nicht kaufmännisch ausgebildet,
sondern in Küche, Service und
Etage bzw. als Pagen eingesetzt –
und damit de facto als Hilfskräfte
in einem anderen Berufsbereich.
Selbst in besten Häusern und bis
hinauf in die Prüfungskommissi-
onen hält sich der Irrglaube, wo-
nach der HGA eine Art „Springer“
sei, der je zu einem Drittel in Ser-
vice, Küche und Rezeption zum
Einsatz komme.
„Dieser Missstand ist dem ange-
schlagenen Image der Lehrlings-
ausbildung im Tourismus sicher
nicht zuträglich“, ärgert sich AK
Präsident Erwin Zangerl. Deshalb
appelliert die Vollversammlung
der AK Tirol an die Sparte Touris-
mus der Tiroler Wirtschaftskam-
mer, ihre Mitgliedsbetriebe zur
berufsbildkonformen Ausbildung
aufzufordern. Zangerl: „Säumigen
Betrieben muss die Ausbildungs-
berechtigung entzogen werden!“
Theorie.
Das Berufsbild sieht
für HGA eine kaufmännische
Ausbildung vor. Sie sollen haupt-
sächlich in Organisation und Ver-
waltung eines Hotel- oder Gastge-
werbebetriebes mitarbeiten und in
kaufmännischem Bereich und Re-
zeption tätig sein. In Service und
Küche sind für sie vor allem Kon-
troll- und Organisationsaufgaben
vorgesehen.
Realität.
Vor einigen Jahren
ergab eine Befragung an der Be-
rufsschule in Landeck jedoch, dass
fast 80 % der HGA-Lehrlinge
nicht einmal die Hälfte ihrer Be-
schäftigungszeit in Rezeption und
Büro verbrachten. Die Beratungen
in der AK Tirol zeigen, dass sich
nichts geändert hat. Mit der offen-
bar attraktiveren Berufsbezeich-
nung HGA werden Junge nur
dorthin gelockt, wo sie gebraucht
werden, und das ist in erster Linie
im Service.
<<
AK Forderung.
In kaum einem Lehrberuf klaffen die Vorgaben für die betriebliche Ausbildung
und der Alltag so oft auseinander, wie beim Hotel- und Gastgewerbeassistenten (HGA).
Lehrbetriebe
in der Pflicht
HGA: Eine leider
wahre Geschichte
J
ulia lernte in einem Tiroler
Tourismusbetrieb den Beruf
der Hotel- und Gastgewerbeassi-
stentin (HGA). Sie wusste, dass es
sich dabei um eine kaufmännische
Ausbildung handelt, bei der ökono-
mische und administrative Kompe-
tenzen vermittelt werden müssen.
Deshalb wunderte sie sich, dass sie
ausnahmslos als Kellnerin einge-
setzt wurde.
In der ersten Berufsschulklasse
erkannte Julia aber, dass hunderte
Tiroler Lehrlinge ihres Lehrberufes
nicht – wie im Berufsbild vorge-
schrieben – an Rezeption und im
Büro beschäftigt werden. Hoteljour-
nal, Reservierungssystem, Buch-
haltung, Schriftverkehr, Werbe-
maßnahmen, Gästeberatung etc.
stehen in den Ausbildungsvorschrif-
ten, aber Papier ist geduldig.
Auch Julia war geduldig. Zwei-
einhalb Jahre ließ sie sich hinhal-
ten, dass sie bald einmal an die
Rezeption komme. Dann, wenige
Monate vor Lehrzeitende, platzte
ihr der Kragen. Denn die Chancen,
die Lehrabschlussprüfung zu beste-
hen, waren bereits gering.
Mit Hilfe der AK Jugendexperten
setzte sie dem Betrieb ein Ultima-
tum: Entweder ich komme ab sofort
zu 100 % an die Rezeption, oder ich
gehe. Zwei Tage später war Julia
weg. Die von der AK geforderten
drei Monate Schadenersatz für den
berechtigten Austritt wurden sofort
bezahlt. DemHotelier war wohl klar,
wie der Fall vor Gericht ausginge.
Julia blieben 3.000 Euro – für 30
Monate verkehrte Ausbildung.
Jugendliche in
der Hotellerie
Die Rezeption
zählt zu den Bereichen, in denen HGA-Lehrlinge laut Berufsbild auszubilden
sind. Die Realität sieht für viele anders aus.
Hotel- und Gastgewerbeassistentin-
nen und -assistenten (HGA) führen
alle Organisations- und Verwaltungs-
arbeiten eines Hotel- oder Gastge-
werbebetriebes durch. Zu ihrem Tä-
tigkeitsbereich gehören der Umgang
mit dem Zimmerplan, der EDV-ge-
stützte Schriftverkehr, der Verkauf,
die Kassaführung, die Buchhaltung
und die Lagerhaltung. Im Front-Office
kommen HGA-Lehrlinge beim Check-
In, Check-Out und der Gästeinforma-
tion zum Einsatz.
Die Unterbringung und Verpflegung
der Gäste (Empfangen der Gäste, Er-
stellen eines Menüplanes usw.) sowie
deren Betreuung sind zentrale Aufga-
ben der HGA-Lehrlinge. Sie besorgen
Theaterkarten, vermitteln Stadtrund-
fahrten, erklären Wanderungen, ver-
leihen Hotelfahrräder etc. Im kauf-
männischen Bereich führen sie unter
anderem die Buchhaltung, die von
der Lagerhaltung über die Perso-
nalbuchhaltung bis zur Lebensmit-
tel- und Getränkeabrechnung reicht.
Die HGAs erledigen den Schriftver-
kehr mit Lieferanten, Behörden und
Kunden.
Im Jahr 2013 gab es 300 Lehrlinge,
die eine Lehre im Beruf Hotel- und
Gastgewerbeassistentin bzw. -Assis-
tent in Tirol machten.
Carina ist im 1. Lehrjahr und lernt im
Hotel Schwarzbrunn in Stans. Sie
schätzt den Kontakt mit den Gästen
und hilft gerne bei Fragen weiter. Ca-
rina stammt ursprünglich aus Kärnten
und ist für ihre Ausbildung nach Tirol
gekommen. Wohnen kann sie in ei-
nem Personalzimmer des Hotels. Und
wer weiß – irgendwann führt Carina
ihre Ausbildung im Tourismus viel-
leicht über die Grenzen Österreichs
hinaus in die große, weite Welt.
AK
REPORTER
Hotel- und
Gastgewerbeassistenten
Lehrzeit: 3 Jahre
Berufsschule: TFBS für Tourismus und Handel Landeck
Wer im Hotel Schwarz-
brunn Urlaub macht, lernt
an der Rezeption Carina
kennen, HGA-Lehrling
im 1. Lehrjahr.
Carina und ihre Kollegin beim Check-In eines Gastes.
Ihre Kollegin Sabrina erklärt die
Vorgehensweise, wenn Gäste
mit Bankomat- oder Kreditkarte
bezahlen wollen.
Auch wenn es um die
Erkundung der Umge-
bung geht, ist Carina in-
formiert und erklärt gerne
schöne Wanderwege.
Für die sportlichen Gäste
gibt es eigene Hotelfahr-
räder, die Carina erklärt
und verleiht.
Das Freizeitangebot für die Gäste ist groß. Damit diese
über die große Auswahl Bescheid wissen, gibt es einen
Prospekt-Stand, den Carina immer befüllt.
Carina kennt sich aus – egal ob Zim-
merreservierungen oder im Zimmer
vergessener Schmuck. Durch ihre
Ausbildung hat Carina den Überblick
über das gesamte Hotelgeschehen.
Und wenn die Damen
an der Rezeption
weiterhelfen konn-
ten, freuen sie sich
natürlich über etwas
Trinkgeld für die
Kaffeekasse.
HILFERUF
ARBEITSZEIT
W
eil es bei Jugendlichen in
der Hotellerie oft zu Über-
tretungen der arbeitszeitrecht-
lichen Bestimmungen kommt, fin-
det ihr hier die wichtigsten Infos:
• Die tägliche Höchstarbeitszeit
beträgt 9, die wöchentliche 40
Stunden.
• Überstunden sind für Jugendli-
che verboten. Werden sie doch
geleistet, gibt es 50 % Zuschlag
(Geld oder Zeitausgleich). Bei
Lehrlingen ab 18 Jahren sind
sie auf Basis des Angestelltenge-
halts abzugelten.
• Tägliches Arbeitsende ist bis 16
Jahre um 20 Uhr, ab 16 um 23
Uhr.
• Nach sechs Stunden steht eine
halbe Stunde Pause zu.
• Es gilt zwölfstündige Nachtruhe.
• Bei 5-Tage-Woche gibt es zwei
zusammenhängende freie Tage
pro Woche.
• Jeder zweite Sonntag ist arbeits-
frei.
AK Tipp:
Arbeitszeiten dokumen-
tieren, am besten im Arbeitszeit-
kalender auf
Foto:GinaSanders/Fotolia.com
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