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Nr. 101, November 2017
S
TUDIE
&
A
NALYSE
Über die GAW
Gefährliches Spiel.
Wer an der Kammer-Pflichtmitgliedschaft und damit der Sozialpartnerschaft sägt, sägt am eigenen Ast und schadet der Wirtschaft.
Wer die Sozialpartnerschaft
schwächt, der trifft uns alle
Analyse.
Ein Blick in die Programme der kürzlich in den Nationalrat gewählten Parteien zeigt:
Die Kammer-Pflichtmitgliedschaft steht auf der politischen Abschussliste. Wer aber auf die
Pflichtmitgliedschaft zielt, zielt auch auf die Sozialpartnerschaft – und damit auf uns alle.
D
ie Forderung, die Pflicht-
mitgliedschaft abzuschaf-
fen, ist nicht wirklich neu.
Neu ist, dass diese Forde-
rung aktuell eine breite politische
Unterstützung findet. Denn mit den
NEOS und der FPÖ wollen gleich
zwei der fünf ins Parlament einge-
zogenen Parteien die Pflichtmit-
gliedschaft abschaffen und die ÖVP
unter Sebastian Kurz „verzichtete“
lediglich auf eine derartige Forde-
rung. Viele Anhänger scheint die
Pflichtmitgliedschaft also nicht
mehr zu haben.
Nun ist es grundsätzlich begrü-
ßenswert, wenn es keine politischen
Denkverbote gibt. Auch nicht bei
dieser Frage. Begrüßenswert schon
alleine deshalb, weil sich Gesell-
schaften laufend wandeln und da-
mit auch für politische Institutionen
regelmäßig die Frage zu stellen ist,
ob diese noch zeitgemäß sind oder
ob sie im Laufe der Zeit zum Klotz
am Bein der österreichischen Volks-
wirtschaft geworden sind.
Wer aber genauer nachfragt und
wissen will, WARUM die Pflicht-
mitgliedschaft abgeschafft werden
soll, wird wohl enttäuscht werden.
Denn belastbare Argumente sind
Mangelware und die öffentlich aus-
getragenen Auseinandersetzungen
mehr ideologisch denn inhaltlich
geprägt. Prangern die Gegner die
Verfilzungen mit dem politischen
System an, streichen die Befür-
worter die Vorteile der Sozialpart-
nerschaft heraus. Aber wer hat nur
recht? Antwort darauf liefert eine
Studie der GAW, die bereits 2014
publiziert wurde.
Dazu muss man aber eine Verbin-
dung sehen, die von den Gegnern so
nicht angesprochen wird, nämlich:
Und, was dann? Wie soll es nach
Abschaffung der Pflichtmitglied-
schaft weitergehen? Denn dass mit
dem Wegfall der Pflichtmitglied-
schaft mittel- bis langfristig die breit
abgestützte politische Legitimation
zur Vertretung der Mitglieder und
damit die Verhandlungsmacht der
Kammern insgesamt sinken wird,
wird wohl kaum jemand ernsthaft
bestreiten. Auch scheint es unwahr-
scheinlich, dass die Kammern bei
drastisch reduzierten Budgets auch
zukünftig ihren Aufgaben nach-
kommen werden können, wie sie
dies heute tun. Wenn die Aufgaben
aber nicht von den Kammern als
Selbstverwaltungskörper wahrge-
nommen werden können, von wem
dann? Vom Staat? Oder von nie-
mandem? Was soll also an Stelle
des derzeitigen Systems treten?
Kurzum, wer die Pflichtmitglied-
schaft abschaffen will, trifft am
Ende die Sozialpartnerschaft. Wer
also ersteres will, sollte sich auch
D
ie GAWmit Sitz in Innsbruck ist
eine unabhängige Forschungsein-
richtung im Bereich der angewandten
Wirtschaftsforschung. Neben der klas-
sischen Datenanalyse bietet die GAW
als Schwerpunkt die Erstellung volks-
und regionalwirtschaftlicher Studien zu
Themen wieWertschöpfungsanalyse,
kalte Progression oder Bedingungs-
loses Grundeinkommen an.
fragen, wie sich dies auf letztere
auswirkt und damit: Was bedeu-
tet das für Österreich? Eine Frage,
die eindeutig beantwortet werden
kann.
Denn bereits in besagter Studie
aus dem Jahr 2014 haben wir für
Österreich, Finnland, Niederlan-
de, Schweden, Irland, Belgien,
Luxemburg, Dänemark, Portugal
und die Schweiz untersucht, wie
sich Institutionen des Konflikt-
Managements, in Österreich also
die Sozialpartnerschaft, auf das
Wirtschaftswachstum eines Landes
auswirken. Der Untersuchungszeit-
raum erstreckte sich von 1990 bis
2011 und betrug damit mehr als 20
Jahre.
In der Untersuchung wurde eine
Vielzahl an Einflussgrößen berück-
sichtigt, um auch tatsächlich den
wahren Einfluss der Sozialpartner-
schaft auf das Wirtschaftswachs-
tum bestimmen zu können. So
wurde der Effekt von öffentlichen
sowie privaten Ausgaben für Bil-
dung auf das Wirtschaftswachstum
ebenso berücksichtigt (Stichwort:
Humankapital) wie der Effekt, den
Investitionen in Sachkapital auf
das Wirtschaftswachstum haben
(Stichwort: Kapitalstock). Berück-
sichtigt wurde ferner, wie stark ein
Land über Importe und Exporte
mit anderen Ländern verbunden ist
und wie die Einkommen in einem
Land verteilt sind (Stichwort: Zu-
sammenhang zwischen „gerechter“
Einkommensverteilung und Wirt-
schaftswachstum). Zudem wurde
berücksichtigt, ob ein Land Mit-
glied der Europäischen Union ist
oder nicht.
In Ergänzung zu diesen eher tradi-
tionellen Faktoren wird in besagter
Studie zudem der Einfluss der Sozi-
alpartnerschaft auf das Wirtschafts-
wachstum untersucht. Einfluss, den
Positive Effekte
überwiegen
Und, was dann?
die Sozialpartnerschaft in Form von
gesellschaftlichen Nutzen aber auch
Kosten hat. Die Nutzen entstehen
dabei etwa aus der Koordination
wirtschaftlicher Tätigkeit und der
Koordination wirtschaftspolitischer
Maßnahmen, während potenzielle
Kosten aufgrund von Rent-Seeking
entstehen. Letzteres ist der Fach-
begriff dafür, dass VertreterInnen
der Institutionen ihre Positionen
im regierungs- und politiknahen
Bereich dazu ausnutzen (können),
persönliche Interessen zu verfolgen
oder ihnen nahestehende Gruppen
auf Kosten der Allgemeinheit zu
begünstigen. In der Studie wurde
das Ausmaß an Rent-Seeking über
die Größe des öffentlichen Sektors
abgebildet, da mit der Größe des
öffentlichen Sektors auch die Ge-
legenheiten für Rent-Seeking zahl-
reicher werden. Werden all diese
Einflussgrößen berücksichtigt, zeigt
sich, dass beide Seiten recht haben,
aber ein Effekt klar überwiegt.
Ja, die Kritiker verweisen zu Recht
auf den wachstumsschädlichen Ef-
fekt, der mit der „Verfilztheit“ mit
dem politischen System einhergeht
(Rent-Seeking-Effekt). Ein Effekt
der Österreich messbar Jahr für Jahr
Wirtschaftswachstum kostet.
Es zeigt sich aber auch, dass
nach Berücksichtigung der genann-
ten Einflussgrößen inklusive des
Rent-Seeking-Effektes die österrei-
chische Sozialpartnerschaft in den
Der Beitrag basiert auf:
Schneider, F., Haigner, S., Jenewein, S., Wakolbinger,
F. (2014). Institutions of conflict management and
economic growth revisited: a short note. Empirica 41
vergangenen 20 Jahren netto er-
heblich zum österreichischen Wirt-
schaftswachstum beigetragen hat.
Ein Ergebnis, das wir nicht nur für
Österreich finden, sondern für 8 der
10 untersuchten Länder.
Für Österreich bedeutet dies, dass
sich vom durchschnittlichen jähr-
lichen Wachstum des österreichi-
schen BIP der letzten Jahre in der
Höhe von 1,25 % rund 0,47 % auf
das Wirken der Sozialpartnerschaft
in Österreich zurückführen lassen.
Damit können fast 40 % des gesam-
ten realen Wirtschaftswachstums
auf die österreichische Sozialpart-
nerschaft zurückgeführt werden.
Wer also via Pflichtmitgliedschaft
an der Sozialpartnerschaft sägt,
schadet messbar der österreichi-
schen Wirtschaft und greift damit
in unsere Geldtaschen. Will man die
österreichische Wirtschaft stärken,
sollten vielmehr die Möglichkeiten
zum Rent-Seeking zurückgedrängt
werden. Das gelingt über viele
Wege. Einer führt aber definitiv
über eineAbsenkung der Staatsquo-
te, da eine Senkung der Staatsquote
den positiven Wachstumseffekt der
Sozialpartnerschaft spürbar erhö-
hen würde.
Ergebnisse pro
Sozialpartnerschaft
von Dr. Stefan D. Haigner
Staatsquote senken
statt Partnerschaft
schwächen
Dr. Stefan D. Haigner, GAW
Foto:photoschmidt/Fotolia.com
Foto:GAW