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Seite 38 WISO

von Russland einzutreiben.

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Staaten können somit

auch Exekutionen gegen Staatseigentum aufgrund

von rechtkräftigen Schiedssprüchen erfolgreich ver-

eiteln, wenn die eigene Rechtskultur es zulässt.

Die Praxis der bisherigen Schiedsgerichtsverfahren

zeigt aber auch andere gravierende Mängel auf: So

sind diese Verfahren durch Intransparenz geprägt,

da sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden,

sowie durch Widersprüchlichkeit und Unberechen-

barkeit der Urteile, da es keinen Instanzenzug gibt

und somit auch keine einheitliche „höchstgerichtli-

che“ Judikatur entwickelt werden kann. Weiters han-

delt es sich um sehr teure Verfahren auf Kosten der

Steuerzahlerinnen und Steuerzahler des beklagten

Staates. Auch die Unabhängigkeit der Schiedsrich-

ter kann angezweifelt werden, da diese keine ver-

fassungsmäßig weisungsfrei gestellten hauptberufli-

chen Richter sind, sondern meist ein überschaubarer

Kreis von Anwälten großer auf ISDS spezialisierter

Kanzleien, die abwechselnd als Richter oder Vertre-

ter der Streitparteien tätig sind.

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Ein weiteres gewichtiges Argument gegen diese

Streitbeilegungsverfahren ist die Erpressbarkeit von

Staaten und von demokratisch gewählten Volksver-

treterinnen und -vertretern in ihrer politischen Ent-

scheidungsfreiheit, da die Summen, die in solchen

Verfahren eingeklagt und manchmal auch zuge-

sprochen werden, in die Milliarden gehen können.

So hat beispielsweise der schwedische Energie-

konzern Vattenfall eine Klage auf 4,7 Milliarden

Euro gegen die Bundesrepublik

Deutschland aufgrund des geplan-

ten Atomausstiegs Deutschlands

vor einem Schiedsgericht einge-

reicht, gestützt auf ein altes Inves-

titionsschutzabkommen zwischen

Deutschland und Schweden.

Allein die Kosten dieses Verfah-

rens belaufen sich für die Bun-

desrepublik seit 2012 bereits auf

3,23 Millionen Euro.

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Staaten und

Regierungen, auf die Klagen sol-

chen Ausmaßes zukommen können, überlegen sich

manch sinnvolle politische Entscheidung zu Gunsten

der Umwelt oder der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-

nehmer lieber zweimal. Fälle aus der Vergangenheit,

in denen Staaten Entschädigungszahlungen auf Ba-

sis solcher Abkommen leisten mussten, weil sie Ge-

setzgebungsakte im öffentlichen Interesse erlassen

haben, gibt es genug. Die Palette reicht von Umwelt-

schutzabgaben in Kanada bis hin zu Anti-Raucher-

Gesetzen in Australien, aufgrund derer multinationale

Konzerne Schadenersatzklagen vor Schiedsgerich-

ten eingebracht haben.

Was bringt das TTIP volkswirtschaftlich

gesehen?

Jener Studie zufolge, welche die Europäische Kom-

mission ihren Verhandlungen zu Grunde legt, soll das

TTIP zu einem kumulierten Wirtschaftswachstum in

der EU von 0,5% des BIP in 10 Jahren führen.

10

Das

bedeutet, dass das BIP bei weitestgehender Libe-

ralisierung – d.h. gänzlicher Abschaffung aller Zölle

und Abbau der nichttarifären Handelshemmnisse um

mindestens 25% sowie Öffnung der öffentlichen Ver-

gabemärkte um 50% – EU-weit um 0,05% pro Jahr

wachsen soll. Bei einem weniger ambitionierten, also

weitaus wahrscheinlicheren Ergebnis der Verhand-

lungen soll sich das erwartete „Mehr“ an Wachstum

in der EU auf 0,027% des BIP pro Jahr beschränken,

so die offizielle Studie der EU-Kommission.

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0,027%

jährliches Wachstum bedeutet ein wenig mehr als ein

Euro pro Monat und Kopf für den einmaligen Zeit-

raum von 10 Jahren. Dies trifft jedoch nur dann zu,

7

vgl. Kemper Anna: Franz Sedelmayer gegen Russland, Zeit - Magazin vom 13.11.2014, S. 59.

8

vgl. Foglar Erich, Kaske Rudi: gemeinsames Schreiben des ÖGB und der AK zu CETA an BM Dr. Reinhold Mitterlehner, 25.8.2014.

9

vgl. FAZ 26.10.2014, Vattenfall-Klage kostet schon jetzt Millionen.

10

vgl. Europäische Kommission: EU-US-Handelsabkommen: Hier sind die Fakten, 18.02.2014, S. 4.

11

Francois Joseph, Centre for Economic Policy Research (CEPRE): Reducing Transatlantic Barriers to Trade and Investment - An Eco-

nomic Assessment, London, März 2013.

Auch über den volkswirtschaftlichen

Nutzen von TTIP für Europa wird

gestritten: Während die Kommission

von einem Wachstumsschub ausgeht,

ergeben andere Berechnungen deutli-

che Jobverluste.