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von Russland einzutreiben.
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Staaten können somit
auch Exekutionen gegen Staatseigentum aufgrund
von rechtkräftigen Schiedssprüchen erfolgreich ver-
eiteln, wenn die eigene Rechtskultur es zulässt.
Die Praxis der bisherigen Schiedsgerichtsverfahren
zeigt aber auch andere gravierende Mängel auf: So
sind diese Verfahren durch Intransparenz geprägt,
da sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden,
sowie durch Widersprüchlichkeit und Unberechen-
barkeit der Urteile, da es keinen Instanzenzug gibt
und somit auch keine einheitliche „höchstgerichtli-
che“ Judikatur entwickelt werden kann. Weiters han-
delt es sich um sehr teure Verfahren auf Kosten der
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler des beklagten
Staates. Auch die Unabhängigkeit der Schiedsrich-
ter kann angezweifelt werden, da diese keine ver-
fassungsmäßig weisungsfrei gestellten hauptberufli-
chen Richter sind, sondern meist ein überschaubarer
Kreis von Anwälten großer auf ISDS spezialisierter
Kanzleien, die abwechselnd als Richter oder Vertre-
ter der Streitparteien tätig sind.
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Ein weiteres gewichtiges Argument gegen diese
Streitbeilegungsverfahren ist die Erpressbarkeit von
Staaten und von demokratisch gewählten Volksver-
treterinnen und -vertretern in ihrer politischen Ent-
scheidungsfreiheit, da die Summen, die in solchen
Verfahren eingeklagt und manchmal auch zuge-
sprochen werden, in die Milliarden gehen können.
So hat beispielsweise der schwedische Energie-
konzern Vattenfall eine Klage auf 4,7 Milliarden
Euro gegen die Bundesrepublik
Deutschland aufgrund des geplan-
ten Atomausstiegs Deutschlands
vor einem Schiedsgericht einge-
reicht, gestützt auf ein altes Inves-
titionsschutzabkommen zwischen
Deutschland und Schweden.
Allein die Kosten dieses Verfah-
rens belaufen sich für die Bun-
desrepublik seit 2012 bereits auf
3,23 Millionen Euro.
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Staaten und
Regierungen, auf die Klagen sol-
chen Ausmaßes zukommen können, überlegen sich
manch sinnvolle politische Entscheidung zu Gunsten
der Umwelt oder der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer lieber zweimal. Fälle aus der Vergangenheit,
in denen Staaten Entschädigungszahlungen auf Ba-
sis solcher Abkommen leisten mussten, weil sie Ge-
setzgebungsakte im öffentlichen Interesse erlassen
haben, gibt es genug. Die Palette reicht von Umwelt-
schutzabgaben in Kanada bis hin zu Anti-Raucher-
Gesetzen in Australien, aufgrund derer multinationale
Konzerne Schadenersatzklagen vor Schiedsgerich-
ten eingebracht haben.
Was bringt das TTIP volkswirtschaftlich
gesehen?
Jener Studie zufolge, welche die Europäische Kom-
mission ihren Verhandlungen zu Grunde legt, soll das
TTIP zu einem kumulierten Wirtschaftswachstum in
der EU von 0,5% des BIP in 10 Jahren führen.
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Das
bedeutet, dass das BIP bei weitestgehender Libe-
ralisierung – d.h. gänzlicher Abschaffung aller Zölle
und Abbau der nichttarifären Handelshemmnisse um
mindestens 25% sowie Öffnung der öffentlichen Ver-
gabemärkte um 50% – EU-weit um 0,05% pro Jahr
wachsen soll. Bei einem weniger ambitionierten, also
weitaus wahrscheinlicheren Ergebnis der Verhand-
lungen soll sich das erwartete „Mehr“ an Wachstum
in der EU auf 0,027% des BIP pro Jahr beschränken,
so die offizielle Studie der EU-Kommission.
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0,027%
jährliches Wachstum bedeutet ein wenig mehr als ein
Euro pro Monat und Kopf für den einmaligen Zeit-
raum von 10 Jahren. Dies trifft jedoch nur dann zu,
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vgl. Kemper Anna: Franz Sedelmayer gegen Russland, Zeit - Magazin vom 13.11.2014, S. 59.
8
vgl. Foglar Erich, Kaske Rudi: gemeinsames Schreiben des ÖGB und der AK zu CETA an BM Dr. Reinhold Mitterlehner, 25.8.2014.
9
vgl. FAZ 26.10.2014, Vattenfall-Klage kostet schon jetzt Millionen.
10
vgl. Europäische Kommission: EU-US-Handelsabkommen: Hier sind die Fakten, 18.02.2014, S. 4.
11
Francois Joseph, Centre for Economic Policy Research (CEPRE): Reducing Transatlantic Barriers to Trade and Investment - An Eco-
nomic Assessment, London, März 2013.
Auch über den volkswirtschaftlichen
Nutzen von TTIP für Europa wird
gestritten: Während die Kommission
von einem Wachstumsschub ausgeht,
ergeben andere Berechnungen deutli-
che Jobverluste.